Samstag, 16. Mai 2015

Was bin ich noch wert, wenn ich mal nichts tue?

Wer einmal eine Depression hatte, versteht sie: Die Sorge, so etwas wieder erleben zu müssen. Diese Angst und ein ganz tief verwurzelter Glaube, dass ich meinen Wert täglich beweisen muss, lassen mir keine Ruhe.

In Berlin habe ich so etwas häufiger beobachtet: An schönen Tagen lehnten sich ältere Menschen auf ihre Fensterbänke, die Arme auf Kissen oder Decken abgestützt, und schauten dem Verkehr ihrer Straße zu. Ich hatte in meiner Nachbarschaft ein oder zwei davon, die so etwas nicht nur für 10 Minuten machten, sondern manchmal stundenlang einfach nur guckten. Manchmal ließen sie sich auch zu Kommentaren hinreißen oder versuchten irgendwie ein Schwätzchen unterzubringen. Da aber jeder so beschäftigt an ihren Fenstern vorbeihastete, saßen sie meistens einfach nur schweigend da und guckten.

Was machen die da nur? Fragte ich mich immer. Wird denen denn nie langweilig? Das ist doch genauso langweilig, wie Farbe beim trocknen zuzusehen, oder?

Wie können Menschen einfach nichts tun und dabei auch noch so zufrieden wirken?

Ich selber könnte mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich bin davon getrieben, dass ich immer etwas tun muss. Und damit meine ich nicht irgendetwas. Ich muss etwas Sinnvolles und Produktives tun. Dazu gehört in meinem Wertesystem leider nicht, das Klo zu putzen oder die Socken zu bügeln. Meine Wohnung versifft, während ich mir immer wieder neue welterschütternde Projekte ausdenke, an denen ich nächte- und jahrelang leidenschaftlich arbeite. Für mehrere Jahre habe ich meine Zeit der Gewaltfreien Kommunikation und einem Wohnprojekt gewidmet. Dann hatte ich meine Leidenschaft fürs Webdesign entdeckt und jetzt will ich eine erfolgreiche Schriftstellerin werden. (Jaja, ich weiß wie sich das anhört).

Wenn ich dann so ein Projekt habe, arbeite ich jeden Tag ein paar Stunden daran. Am Wochenende sogar mehr. Andrew bekommt mich am Wochenende nicht viel mehr zu sehen, als unter der Woche, da ich entweder unterwegs bin, um Dinge zu erledigen oder irgendwo im Cafe sitze, um zu schreiben.

Jede Minute meines Lebens ist mit für meine Projekte nützlichen Tätigkeiten ausgefüllt. Im Auto höre ich nicht etwa Hörbücher, sondern Podcasts und Interviews von erfolgreichen Autoren, in der Hoffnung, etwas von ihnen zu lernen. Auf dem Klo bearbeite ich meine Emails, auf dem Weg zum Auto diktiere ich Ideen für meine Blogs in mein iPhone. Und wenn ich spät nachts zu müde bin, um noch sinnvolle Texte zu verfassen, recherchiere ich im Internet, um Hintergrundmaterialien für meine Bücher oder die neue Webseite zu sammeln.

Ich bin für meinen Geschmack bei Weitem noch lange nicht produktiv genug. Ich sollte viel mehr schreiben und veröffentlichen und knobele ständig, wie ich das noch schaffen kann. Die einzige Lösung wäre für mich, dass ich aufhöre, mich mit meinen Freundinnen zu treffen oder zu telefonieren und auch nie wieder mehr mit Andrew spreche. Ich glaube allerdings nicht, dass das so eine gute Idee wäre.

Produktiv zu sein, etwas zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe, löst in mir ein Hochgefühl aus. Ich fühle mich dann erfolgreich und energiegeladen. Dieses Hoch will ich die ganze Zeit haben. Manchmal wird daraus eine regelrechte Euphorie, wenn ich mich durch selbst erzeugten Druck dazu bringe, die halben Nächte durchzuarbeiten.

Leider kommt nach so einem Hoch immer auch ein Tief. So ist das immer. Der Körper muss das ganze Adrenalin und Serotonin ja irgendwann mal wieder abbauen. Also falle ich dann in so ein Tief in dem ich nur noch faul auf dem Sofa hänge und TV gucken will. Aber dann geht es mir erst so richtig schlecht. Karina nur auf dem Sofa und nichts TUN, dass ihre Existenz auf diesem Planeten rechtfertigt? Das kann nur eine mittelschwere Depression nach sich ziehen. Plötzlich stelle ich wirklich mein ganzes Leben in Frage und bin darüber verzweifelt, dass ich nicht schon mehr in meinem Leben erreicht habe.

Ich habe nichts dagegen, produktiv zu sein. Aber ich mag es nicht, wie sehr ich anscheinend so gar nicht davon loslassen kann. Denn irgendwo ganz tief in mir drinnen scheine ich zu glauben, dass es etwas Schlechtes ist, wenn ich nicht jede Minute nützlich verbringe. Ich würde so gerne einfach mal nur sein. Einfach mal nur sein. Nichts tun und damit glücklich und wirklich zufrieden zu sein. Ohne den ständigen Druck, dass ich meine bloße Existenz mit irgendetwas beweisen muss. Ich hätte gerne eine Balance.

Meditation soll dafür ja sehr gut sein. Ich probierte das in den letzten acht Jahren immer wieder und stellte dann fest, dass ich auch während der Meditation die Zeit genutzt hatte, ein paar Probleme zu lösen. Denn die Entspannungsmusik half mir dabei, ganz anders und manchmal viel besser zu denken. Aber das ist ja eigentlich nicht der Sinn einer Meditation.

Ich habe anscheinend den Glaubenssatz, dass ich nur, wenn ich nützlich bin, glücklich sein darf.

Inaktivität und Faulheit erinnert mich an die langen Jahre meiner Depression. Ich hatte damals so gut wie gar nicht meine Wohnung verlassen. Ich war vollkommen inaktiv und verbrachte meine Tage zu Hause vor dem Fernseher. Ich schämte mich dafür, aber mit Hilfe meiner Esssucht und ein paar Bieren am Tag, verdrängte ich solche Gefühle, so gut ich konnte.

Heute genieße ich also meine Kraft und Energie und auch die Leichtigkeit mit der mir viele Sachen von der Hand gehen. Aber immer wieder spüre ich meine Angst vor einer Depression hervorlugen, sobald ich nicht ununterbrochen in meinem Hamsterrad rumlaufe. Es ist also Angst, die mich Rennen lässt. Aber es ist auch mein Glaube daran, dass ich wertlos bin, wenn ich nicht nonstop an meinen Projekten arbeite.

Also gut. Somit habe ich wieder ein paar Glaubenssätze gefunden, die ich mit Byron Katies Hilfe bearbeiten kann. Es nimmte einfach kein Ende, oder?

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