Ich bin eine absolute Vertreterin dafür, meiner Intuition zu folgen. Ich schwöre auf mein Bauchgefühl. Aber was ist, wenn ich mein Bauchgefühl missverstehe? Was ist wenn eigentlich meine Angst spricht und nicht mein Intuition? Wie kann ich das eine vom anderen Unterscheiden?
Normalerweise kann ich meine Angst klar wahrnehmen. Ich habe Angst vor Prüfungen, ich hatte Angst nach Amerika zu ziehen, ich habe Angst von einer Klippe ins Meer zu springen und ich habe auch Angst davor in einem Haus, dessen Herd und Heizung mit Gas betrieben werden, zu leben. Viele Menschen haben solche oder ähnliche Ängste. Sie sind offensichtlich und leicht zu erkennen. Sie sind nicht angenehm aber wenn ich in Situationen komme, die solche Ängste in mir auslösen, kann ich mich entscheiden, wie ich mit diesem Gefühl umgehen will.
Manchmal entscheide ich mich, meiner Angst nachzugeben. Ich werde z.B. niemals von einer Klippe ins Meer springen, außer ich würde von einem Axtmörder verfolgt. Oder ich entscheide mich, mich meiner Angst zu stellen, da ich das, wovon mir meine Angst abrät, unbedingt machen will. So habe ich das mit meinem Umzug nach Amerika gemacht. Von dem Tag an, da ich Andrew wiedergetroffen hatte bis heute noch, kommt Angst in mir hoch und ich muss mich ihr stellen und Wege finden, sie zu beruhigen. Ansonsten geht es mir schlecht. Denn in diesem Fall hätte die Angst mich daran gehindert ein erfülltes Leben zu führen, wenn ich ihr nachgegeben hätte.
Sich seinen Ängsten zu stellen ist schon eine schwierige Aufgabe. Aber richtig schwierig wird es für mich, wenn ich meine Angst gar nicht als Angst wahrnehme und sie sich hinter anderen Gefühlen versteckt. So kann es mir passieren, dass Gefühle von Langeweile, Überdruss, Desinteresse und Misstrauen eigentlich nur Masken meiner Angst sein können.
So ging es mir z.B. mit meinem Traum, professionelle Bauchtänzerin zu werden. Acht Jahre lang übte und probte ich. Ich ging regelmäßig zum Unterricht, besuchte Workshops und Retreats. Ich war eine begeisterte Tänzerin und das, obwohl ich damals extrem übergewichtig war. Zwar litt ich darunter, dass mein Spiegelbild mir immer nur dieselbe verhasste Dicke zeigte, aber Himmel, fühlte sich das Tanzen selber gut an. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich körperliche Anstrengung als positiv empfand. Es war toll, meinen Körper mal ganz anders zu spüren.
Im Laufe der Jahre nervte es mich immer mehr, dass ich nur hauchdünne Tanzlehrerinnen fand und beschloss die erst dicke Bauchtanzlehrerin Berlins zu werden, die Workshops und Unterricht nur für Frauen mit Übergewicht anbieten würde. Ich dachte, dass das vielleicht eine Möglichkeit wäre, mir nebenher ein kleines Business aufzubauen.
Ich fand auch schon bald die ersten Frauen, denen ich erst einmal kostenlos Unterricht anbot, um zu sehen, ob mir das überhaupt lag. Ich liebte es. Ich entwarf Flyer, machte Fotos von mir in meinen Tanzkostümen, überlegte wochenlang, wie und wo ich inserieren könnte und suchte nach einem Tanzraum.
Und dann, ganz plötzlich, verlor ich das Interesse daran. Einfach so. Und zwar ganz und gar. Nicht nur, dass ich meinen Schülerinnen, die inzwischen sogar bereit waren für den Unterricht zu bezahlen, absagte, nein, ich selber besuchte ab diesem Tag auch nie wieder einen einzigen Tanzkurs.
Oder wie war das noch, als ich unbedingt Hebamme werden wollte? Zwei Jahre arbeitete ich als ambulante Hauspflege für frischgebackene Mütter die nach einer Hausgeburt, Unterstützung im Haushalt brauchten. Währenddessen versuchte ich in einer der beiden Kliniken, die Hebammen in Berlin ausbildeten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Zwei Jahre war ich absolut sicher, dass dies mein Schicksal und Berufung sei. Mein Bauchgefühl war da ganz klar. Im ersten Krankenhaus wurde ich mit dem Argument abgewiesen, dass ich mich im darauffolgenden Jahr noch einmal bewerben sollte, da ich in der Zwischenzeit meine Leidenschaft für die Pflege und Neugeborene beweisen sollte. Währenddessen bewarb ich mich in dem zweiten Krankenhaus und bekam einen Ausbildungsplatz. Leider zerriss die Betriebsärztin meinen Vertrag vor meinen Augen, mit der Begründung, dass ich zu fett sei. Ich verließ ihr Büro, setzte mich in mein Auto und heulte ein wenig. Und während ich heulte, spürte ich dass ich ganz plötzlich das Interesse an meiner Berufung verlor.
Ich hätte gegen das Urteil der Betriebsärztin vorgehen können und ich hätte mich immer noch ein paar Monate später im ersten Krankenhaus wieder bewerben können. Aber in diesem Moment in meinem Auto war es mit dem Traum der Hebamme vorbei. Mein Bauchgefühl war da auch ganz klar (so dachte ich): Hebamme ist nicht mein Weg.
Ich habe mich immer ein wenig darüber gewundert, warum ich so auf einmal das Interesse an etwas verlieren konnte, wofür ich vorher so lange gebrannt habe. Aber ich vertraute meinem Bauchgefühl. Und mein Bauchgefühl sagte mir in beiden Fällen "Näh. Det isses nich mehr."
Ich weiß heute, dass es Angst war. In diesen beiden Fällen und in vielen anderen auch. Angst, die ich aber als solche überhaupt nicht wahrnahm. Ich nahm nur Ablehnung und ein deutliches inneres NEIN wahr, aber keine Angst, so wie ich sie von anderen Situationen her kannte. Und da ich meinem Bauchgefühl immer vertraut hatte, hinterfragte ich meine damaligen Entscheidungen auch nicht weiter.
Im Moment bin ich nämlich in einer ganz ähnlichen Situation. Ich drohe das Interesse am Schreiben zu verlieren, weil es eigentlich ansteht, etwas zu verändern. Ich würde gerne mehr an die Öffentlichkeit gehen, sprich anfangen, meine Bücher besser zu vermarkten. Aber seitdem ich diesen Wunsch spüre, rät mir mein Bauchgefühl, ganz und gar mit dem Schreiben aufzuhören.
Das kann doch kein Zufall sein, oder?
Theoretisch weiß ich also, dass dies nicht meine sonst so geliebte Intuition sein kann. Meine Intuition lenkt und leitet mich von etwas weg oder zu etwas hin. Aber irgendwie passt es nicht zu ihr, in aller Plötzlichkeit eine 180 Grad Wendung zu vollziehen nachdem sie mich monatelang zu genau dem Punkt gebracht hat, an dem ich jetzt stehe.
Also versuche ich gerade zu ergründen, was ich eigentlich gerade wirklich fühle. Und das ist eine verflixt schwierige Aufgabe. Ich bin immerhin schon so weit, dass ich die Angst, die ich vorher überhaupt nicht habe wahrnehmen können, spüren kann. Sie entgleitet mir immer wieder, aber manchmal spüre ich sie. Ich habe Angst davor, sichtbar zu werden. Ich habe keine Angst vor dem Versagen, da ich gut mit Versagen umgehen kann. Aber was ist, wenn ich tatsächlich Erfolg haben sollte? Bei dem Gedanken alleine schnürt sich mir die Kehle zu.
Egal. Ich bleibe dran. Ich möchte nicht schon wieder einen Traum aufgeben. Das habe ich jetzt oft genug in meinem Leben gemacht. Ich habe Lust auf eine neue Erfahrung, und zwar auf die Erfahrung, einem Traum treu zu bleiben. Ob er sich wirklich erfüllen wird, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Aber ich möchte endlich einmal wirklich sagen können, dass ich alles getan habe, was mir möglich war, um mir meinen Traum zu erfüllen.
Wir werden sehen, ob ich das schaffen werde.
Was ist daraus geworden?
AntwortenLöschen