Mir geht es gut.
Und trotzdem habe ich manchmal Wochen, wo es mir richtig miserabel geht. Ich bin unglücklich über all die Dinge, die ich nicht habe. Ich bewege mich dann täglich in einer Wolke von Traurigkeit und Schwere, die es mir schwer macht, auch nur noch ein einziges gutes Haar an meinem gegenwärtigen Leben zu lassen. Ich stelle alles in meinem Leben in Frage und bin oft den Tränen nahe. Ich kann nur darüber nachdenken, was alles nicht in meinem Leben stimmt: So sieht z.B. mein Körper furchtbar aus. Zwar habe ich Normalgewicht aber ich war über 40 Jahre alt, als ich 80kg abgenommen habe. Das sieht man ihm auch an. Ich fühle mich als Versagerin, weil ich keinen höher bezahlten Job habe. Ich finde, dass mein Mann mich nicht genug liebt. Ich bin neidisch, weil ich finde, dass andere ein besseres Leben haben als ich und ich hätte gerne mehr Freunde, usw., usw., usw.
Als Erstes gehe ich dem Übel auf dem Grund.
Nun bin ich eine starke Verfechterin davon, solchen Stimmungen auf gar keinen Fall nachzugeben. Ich schaue also als Erstes genau bei mir hin und versuche herauszufinden, was mich stört und ob ich es ändern kann. Manchmal finde ich konkrete Umstände, die mich frustrieren und ändere sie dann (so fragte ich Andrew z.B. ob wir nicht zwei Mal im Monat miteinander ausgehen können, da ich merkte, dass wir in der letzten Zeit zu wenig Kontakt miteinander hatten). Manche Umstände kann ich nicht so einfach ändern (z.B. die Höhe meines Einkommens und die Tatsache meines Ausbildungsstandes).
Als Zweites versuche ich zu lieben, was ist.
Also ist meine Philosophie: Was ich nicht ändern kann, lerne ich zu akzeptieren und sogar zu lieben. Denn wenn ich die Umstände, in denen ich lebe, liebe, kann es ja keinen Grund mehr dafür geben, dass ich mich schlecht fühle, oder?
Wenn das mal so einfach wäre.
Ich wende also eine meiner Methoden an, um das Positive an den Situationen, die mich gerade stören herauszuarbeiten und versuche nur noch auf diese positiven Aspekte zu achten. Ich konzentriere mich darauf, was ich in meinem Leben an guten Dingen erreicht habe, statt darauf, was mir fehlt. Ich bin darin geübt, meinen Fokus zu kontrollieren. Es klappt jedes Mal. Aber wenn ich in solchen hartnäckigen Phasen stecke, klappt das nur für Sekunden. Sobald ich mich nicht mehr bewusst auf das schöne Wetter oder die niedlichen Eichhörnchen oder meine netten Kollegen konzentriere, und die alltäglichen Dinge in meinem Leben mache, die man halt so macht (die Spülmaschine ausräumen, zur Arbeit gehen, sich duschen, usw.) bin ich wieder voll in der Jammer- und Verzweiflungsphase drin.
Der letzte Ausweg: Ich mache das Beste draus.
Also habe ich eine weitere Strategie entwickelt, wenn meine üblichen Bemühungen und Methoden, meine Stimmung zu verbessern, nicht greifen wollen: Ich lasse los. Vollkommen. Ich akzeptiere, dass es mir jetzt gerade scheiße geht, egal wie unbegründet ich das auch finden mag. Ich höre auf, nach irgendwelchen Ursachen zu suchen. Ich nehme es einfach hin, dass es mir gerade schlecht geht und versuche sogar nicht mehr gegen mein schlechtes Gewissen anzukämpfen, dass ich mich so unglücklich fühle. Ich habe dann immer ein schlechtes Gewissen, denn es gibt natürlich immer Menschen, denen es wirklich schlecht geht.
Es ist so, als wenn ich eine Erkältung habe. Gegen die kann man auch nur im Anfangsstadium ankämpfen und sie vielleicht sogar besiegen. Aber wenn sie erst einmal in vollen Zügen da ist, bleibt nur eins übrig: Locker lassen und all das tun, was Körper und Geist als wohltuend empfinden.
Genauso verhalte ich mich dann in solchen Phasen. Ich mache, wenn es geht, nur noch Dinge, die mir guttun. Und wenn das bedeutet, dass ich nach der Arbeit nur noch im Bett liegen und mit niemandem reden will, dann ist das eben so. Vielleicht bedeutet es auch, dass ich am Wochenende Stunden lang Fernsehen gucke oder billige Computerspiele oder (ganz was Schlimmes) noch billigere Kitschromane lese. Ich gehe zur Arbeit und ich räume wahrscheinlich abends auch die Spülmaschine aus, aber ich halte solche Aktionen auf ein absolutes Minimum, denn alles, was ich tue, mache ich im Hinblick darauf, dass es mir JETZT guttut. Es soll eine Wohltat für mich sein. Nichts anderes. Und wenn es bedeutet, dass ich ein ganzes Wochenende jeden Tag 10 Stunden Fernsehen gucke, dann ist das eben so (im normalen Leben würde ich mir so etwas nicht gestatten, aber was soll man machen?).
Meine Philosophie ist, wenn ich meine Stimmung schon nicht ändern kann, dann mache ich das Beste daraus. Dagegen anzukämpfen und mich dann auch noch mit Scham- und Schuldgefühlen zu malträtieren, nur weil ich denke, dass ich gar kein Recht darauf habe, mich schlecht zu fühlen, da es den hungernden Kindern in Afrika doch so viel schlechter geht, bringt gar nichts.
Meine letzte Phase hat fast einen Monat angedauert. Ich war schlecht gelaunt, unproduktiv und faul. Und endlich bin ich mal dazu gekommen, Bücher zu lesen und Computerspiele zu spielen. Nach einer Weile wurde mir das aber langweilig. Oder ich brauchte es nicht mehr. Warum auch immer, so unerklärlich es mir ist, dass diese Stimmungen auftauchen, so unerklärlich verschwinden sie auch wieder. Und je eher ich herausfinde, dass dies eine der Stimmungen ist, die nicht "repariert" werden können, indem ich aktiv nach Lösungen für ein Problem suche, dass vielleicht gar nicht existiert, desto schneller komme ich aus meinem Tief auch wieder heraus.
Eigentlich hört sich das doch gar nicht mal so schlecht an, oder?
Wie gehst du eigentlich mit solchen Phasen um?
Karina
Liebe Karina, du hast MEIN Leben der letzten Wochen beschrieben. Seit ein paar Tagen gelange ich zu alter Form zurück. Genauso erklärlich, wie diese Stimmung gekommen ist, geht sie auch wieder weg. Das beste scheint in der Tat, das einfach zu akzeptieren und darauf zu vertrauen, dass es wieder besser wird.
AntwortenLöschenUnd das für mich beste habe ich wirklich getan: nach der Arbeit nach Hause gegangen, mich verkrochen, blöde Computerspiele gespielt und viel gelesen. Mir war nicht nach Kontakt, nicht mal nach telefonieren, dann ist es halt so.
Interessant ist, dass du beschreibst, dass du Schuldgefühle hast. Das geht mir auch so, ich denke immer, ich ziehe ein größeres Unglück auf mich, wenn ich mich beklage. Weil ich doch weiß, dass es so vielen Menschen auf der Welt viel viel schlechter geht als mir, aber es geht Ihnen ja kein Stück besser, wenn ich mich Kastanie, weil ich mich in relativ luxuriösen Umständen auch mies fühle.
Heute bin ich einfach nur froh, dass es mir wieder besser geht.
Mensch, bei drei Monaten kann man ja fast schon nicht mehr von einer Phase sprechen, oder? Zum Glück, ist es jetzt doch wieder besser geworden.
LöschenGenau so UNerklärlich sollte es im zweiten Satz heißen ��
AntwortenLöschenHallo Karina,
AntwortenLöschensolche Phasen kenne ich auch zu gut. Ich denke, dass ich auch Züge von Hochsensibilität habe, denn mir wird einfach auch alles schnell zu viel. Als ich noch Single war, habe ich mich gerne auch mal direkt nach der Arbeit ins Bett gelegt und bin erst am nächsten Morgen wieder aufgestanden. Oder ich habe auch mal einen ganzen Sonntag lang im Bett gelegen, viel geschlafen und konnte trotzdem auch die Nacht schlafen. Ich finde Schlaf einfach heilend. Die Decke schützt einen so schön. Ich habe eine Frage: Wie machst Du es jetzt in der Beziehung, wenn Du mal 10 Stunden Fernsehen gucken möchtest? Obwohl sich das ja noch leichter mit dem Partner verbinden lässt als schlafen. Ich wohne seit zwei Jahren mit meinem Partner zusammen und seitdem sind meine Auszeiten echt gering geworden, da er nicht so gerne so ruhig ist. Ich habe danne in schlechtes Gewissen, wir haben ein großes Grundstück und ich will ihn dann nicht alleine darin arbeiten lassen. Suche also nach einem Weg, mir doch mal eine Auszeit alleine zu gönnen. Hast Du mit Deinem Mann darüber gesprochen?
Viele Grüße
Paola
Ha! Gute Frage!! 10 Stunden Fernsehen gucken? Das kann ich nur machen, wenn Andrew schläft. Und dann muss ich so leise gucken, dass ich mit dem Ohr fast an der Scheibe klebe.
LöschenDas Thema Auszeiten ist in meiner Beziehung echt eine Herausforderung. Schließlich habe ich bis zu meinem 45sten Lebensjahr immer alleine gelebt. Als ich mit Andrew vor vier Jahren zusammenzog, ging es am Anfang noch, da ich nicht arbeitete und unser winziges Häuschen (meine letzte Wohnung in Berlin hatte genauso viele Quadratmeter) tagsüber für mich alleine hatte. Aber als ich dann auch arbeitete, bekam ich schnell Stress, da Andrew immer zu Hause war. Ich war nie mehr einfach nur mal so alleine für mich. Ständig war ich von Menschen umgeben - bei der Arbeit, zu Hause und wenn ich natürlich Freunde traf. Nur wenn ich mit dem Auto wohin fuhr, war ich mal alleine. Aber das half mir nun wirklich nicht.
Ich habe mich jetzt etwas daran gewöhnt. Außerdem stellte sich heraus, dass Andrew viel mehr Schlaf braucht als ich. Er geht also ungefähr zwei Stunden vor mir ins Bett. Diese Stunden gehören dann mir, wenn ich mal abends zu Hause bin.
Tja, und dann gehe ich am Wochenende immer für ein paar Stunden zum Schreiben zu Starbucks. Da stören mich die Menschen um mich herum überhaupt nicht. Ich kann dort gut abschalten.
Aber all das ist kein Vergleich zu den langen Ruhephasen, die ich früher für mich hatte. Die vermisse ich schon sehr.
Ich habe mit Andrew gleich am Anfang darüber gesprochen. Er weiß genau, wie sehr ich das Alleine-Sein vermisse. Und wenn ich mich dann verziehe, um in "mein" Starbucks zu gehen, kann er das gut nachvollziehen. Manchmal gehe ich auch ins Schlafzimmer uns kündige ihm an, dass ich für den Rest des Tages für mich alleine sein möchte. Er versucht das dann auch, so gut wie möglich zu respektieren.
Hast du mal mit deinem Mann darüber gesprochen? Und wie hat er das aufgenommen?