Donnerstag, 7. Mai 2015

Junge Alte sucht alten Jungen

Könnte es sein, dass wir einfach nur unser Alter ignorieren müssen, damit wir lange jung bleiben können?

Meine Mutter hatte ihre langjährigen Freundinnen zum Essen eingeladen. Ich war mit zwei meiner Freundinnen mit von der Partie. Der Zufall wollte es, dass sich neben mich Anna setzte, die bereits seit mindestens 40 Jahren mit meiner Mutter befreundet ist. Anna ist ein kleines, agiles und zierliches Persönchen, die auch im Alter noch richtig hübsch anzusehen ist. Ihre mädchenhafte Stimme passte zu ihren flinken Bewegungen und sie unterhielt sich angeregt mit jedem, der in ihrer Reichweite war. Wenn man ihr so zusah, war kaum zu glauben, dass sie bereits 81 Jahre alt war.

So würde ich in dem Alter auch gerne sein, dachte ich mir.

Anna hat seit September einen neuen Freund. Er ist 82 Jahre alt und sie fand ihn durch eine Kontaktanzeige, die sie in der Zitty aufgesetzt hatte. Sie lautete ganz kurz und knapp "Junge Alte sucht alten Jungen". Darauf meldeten sich etliche, aber Herbert wurde es dann. Er hatte noch vor einem Jahr, mit 81 Jahren, den Katmandu bestiegen und zeichnete sich auch sonst durch Sportlichkeit und Fitness aus. Als sich die beiden kennenlernten, verschwiegen beide ihr Alter voreinander, weil jeder vom anderen vermutete, dass er/sie mindestens 10 Jahre jünger war. Erst der Zufall enthüllte das Alter der beiden und zu Annas Erleichterung hatte sie einen Mann gefunden, der etwas älter war als sie.

Sie ist ganz zufrieden in der Beziehung aber beklagt sich darüber, dass er andauernd Sex will. Meine Mutter feixte hinter Annas Rücken und raunte mir leise zu, dass ihr das nur recht geschehen würde. Ihr ganzes Leben habe sie ihren Männern die Hölle heiß gemacht, wenn sie nicht oft genug wollten und jetzt bekomme sie endlich mal einen, der zu viel will.

Anna reist leidenschaftlich gerne mit ihren Freunden oder mit organisierten Gruppenreisen. Fast könnte man glauben, so sagt meine Mutter, dass Anna reisesüchtig sei. Das Problem mit Anna ist allerdings, dass sie ihr Alter und seine Begrenzungen nicht wahr haben will. Keiner, der sie kennt, will noch mit ihr verreisen, da sie dann fast immer ziemlich krank wird und sie ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, aus dem sie sich dann aber stur wieder auf eigene Verantwortung entlässt, weil sie unbedingt weiterreisen will. Man kann sich vorstellen, was für eine nervliche Belastung das für mitreisende Freunde sein muss.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sie endlich den Überredungskünsten ihres Arztes nachgegeben, der darauf bestand, dass sie sich mal richtig durchchecken ließ. Dabei stellte sich heraus, dass sie in den letzten Jahren mal einen schweren Harzinfarkt gehabt haben muss, von dem Anna allerdings angeblich nichts wusste. Der Arzt war vollkommen erschüttert, dass sie keine Symptome gehabt hatte, wo doch Teile des Herzens schwer in Mitleidenschaft gezogen und auch nie verheilt waren. Meine Mutter meinte, dass das wahrscheinlich mal auf einer dieser Reisen passiert war, wo sie sich wieder einmal selber entlassen hatte. Anne ignoriert ihre Krankheiten und ihr Alter mit eiserner Willensstärke. Sie hat keinen Bock aufs alt werden, also wird sie es auch nicht. Basta.

Keine Ahnung, ob das eine gute Strategie für das alt werden ist, aber es scheint bei ihr zu funktionieren. So agil möchte ich im Alter auch mal sein. Sie ist selten alleine und immer unterwegs und hat jetzt sogar einen neuen Freund. Sie hat so einen Hunger nach dem Leben und lädt ständig all die Menschen, die sie neu kennenlernt, zu sich nach Hause ein. Für sie ist das Leben immer noch ein Abenteuer.

Ich bin ja davon überzeugt, dass das, worauf wir uns konzentrieren größer und stärker wird. Also passt für mich ihr Umgang mit Krankheiten zumindest teilweise in mein Weltbild. Sie hat gesundheitliche Probleme und ignoriert sie. Also leidet sie auch weniger darunter als vielleicht so mancher anderer unter ihnen leiden würde. Aber ich glaube auch, dass das reine Ignorieren von Krankheiten nicht wirklich der beste Weg ist, mit ihnen umzugehen. Ich finde, wenn Krankheiten erst einmal da sind, verdienen sie meine Aufmerksamkeit. Sie verdienen, dass ich forsche, was die Ursache für meine Symptome sind, sowohl auf der physischen als auch auf der psychischen Ebene. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, wo ich mich dann auf das gesund werden konzentrieren muss statt mich immer weiter und weiter mit meiner Krankheit zu beschäftigen.

Ich liebe Annas Einstellung zum Leben und zu ihrem Alter. In diesem Punkt finde ich, dass das Ignorieren ihres Alters der beste Weg ist, damit umzugehen. Ich bin gespannt ob ich das auch mit solch einer Konsequenz schaffen werde, wie sie. Ich wünsche es mir.

Aber am schönsten finde ich das, was Anna meiner Freundin vertraulich eingestand, als sie doch noch auf ihr Alter zu sprechen kamen. Sie würde nur eins bedauern, sagte sie. Es sei so schade, dass die Männer in der LETZTEN ZEIT nicht mehr gucken würden.

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