Seit Jahren rege ich mich auf, wenn meine beste Freundin Folgendes tut: Wann immer ich versuche, ihr bei einem Problem, dass sie mit ihrem Computer oder iPad hat, zu helfen, wird sie sauer auf mich und wird sogar laut.
Meistens muss ich ihr telefonisch helfen, denn ich bin eben nicht immer in ihrer Nähe, wenn sie in Computernöten ist. Ich erkläre ihr dann z.B., dass sie auf einen bestimmten Menüpunkt klicken solle aber sie kann den Menüpunkt nicht finden. Also versuche ich ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt des Bildschirms zu leiten, den sie finden kann. Aber den findet sie dann auch nicht und sie wird sofort, ohne Überleitung, richtig sauer auf mich. Sie wird laut, sagt Dinge wie "Natürlich weiß ich, was ein Menüpunkt ist", "Rede mit mir nicht, so als ob ich drei Jahre alt wäre", "Ich bin doch nicht blöd" usw.
Ich versuche ruhig zu bleiben (leider bleibt es oft nur bei dem Versuch und ich werde auch laut) und erkläre ihr alles, so gut wie möglich. Ich könnte sie strangulieren. Warum ist sie, verdammt noch mal sauer auf mich, wenn sie zu blöd ist, den Menüpunkt zu sehen, der genau vor ihrer Nase ist? Warum brüllt sie MICH an, wenn ich hier schon seit einer halben Stunde versuche IHR Problem zu lösen? Und hatte ich nicht eh schon seit langem vor, diese Freundschaft zu beenden?
Theoretischerweise weiß ich, dass sie wahrscheinlich nicht sauer auf mich ist. Ich weiß, dass ihre Frustrationsgrenze sehr niedrig ist, ganz besonders wenn es etwas mit Computern zu tun hat. Und ich weiß, dass sie schnell denkt, dass sie zu doof ist und wahrscheinlich denkt sie unterbewusst, dass ich dasselbe auch von ihr denke.
Aber jetzt kommt's! Letzte Woche musste ich mir selber eingestehen, dass ich genau wie meine Freundin bin. Ist das zu fassen?
Als mir meine Vorgesetzte wieder einmal eine neue Software erklärte und ich nicht sofort verstand, was sie mir da zeigte, wurde ich sauer auf sie und verhielt mich wie eine eingeschnappte Leberwurst. Ich erinnere mich jetzt, dass ich in den letzten Jahren dieses Verhalten schon öfter an mir beobachten konnte. Ich hatte es natürlich nie gemocht, wenn ich mich so verhielt, und hatte wahrscheinlich deswegen das Wissen um dieses Verhalten auch schnell wieder in die hinterste Ecke meines Bewusstseins geschoben. Aber jetzt bin ich mir dessen sehr bewusst geworden:
Damit ist schon wieder einmal eine meiner Vermutungen bewiesen worden: Das was mich an anderen stört, ist eigentlich etwas, das mich an etwas erinnert, dass mich an mir selber stört. Der andere dient mir in diesem Fall nur als Spiegel. So ist es auch mit meiner ungeduldigen Freundin und mir. Und glaubt mir, ich hätte bis vor kurzem noch geschworen, dass ich GAAAAAAAANZ AAAAAAANDERS als sie bin.
Ja, ja.
So, dass will ich jetzt aber ändern. Denn nach meiner Theorie heißt das, wenn ich es schaffe, mich in so einer kritischen Situation mir selbst und meiner Chefin gegenüber anders zu verhalten, dann wird mich das Verhalten meiner Freundin mir gegenüber auch nicht mehr so stören.
Na, dann probiere ich das mal auch sofort aus.
Ich habe ja mehrere Methoden, um mir in solchen Fällen zu helfen. In diesem Fall entscheide ich mich für die, die den geringsten Aufwand bedeutet.
1. Ich werde mir meines Verhaltensmusters genau bewusst
Ich setzte mich hin und schreibe genau auf, was in solchen Momenten durch meinen Kopf geht, was ich fühle, und wie genau ich mich dann verhalte.
In diesem Fall geht Folgendes in mir vor:
Wenn meine Vorgesetzte mir etwas auf dem Bildschirm erklärt und ich es nicht auf Anhieb verstehe, denke ich, dass ich dumm bin. Ich habe Angst, dass die Tatsache, dass ich etwas nicht sofort verstehe, auf ein größeres Problem bei mir hinweisen könnte. Denn eigentlich weiß ich, dass das ganze doch gar nicht so schwierig sein kann. Ich verliere die Lust, weiter zuzuhören, denn ich höre ja nur, wie dumm ich bin. Das führt dazu, dass ich dann noch weniger von dem verstehe, was sie mir erklärt.
Das wiederum führt dazu, dass ich sauer auf sie werde. Denn jetzt denke ich, dass sie zu dumm ist, mir das richtig zu erklären. Denn unter normalen Umständen müsste ich das doch zumindest beim zweiten Mal verstanden haben. (Ich habe nie behauptet, dass das, was in solchen Momenten in mir vorgeht auch nur im entferntesten logisch ist).
Und ich denke dann auch, dass das Programm einfach unmöglich ist. Wie hat sich nur jemand so etwas dämliches ausdenken können?
Aber ich habe auch Schuldgefühle, weil ich merke, dass ich meine Vorgesetzte nicht ausreden lasse und mein Ton auch nicht mehr ganz so nett ist.
All das geht so ziemlich gleichzeitig in mir vor und geht so schnell, dass ich da kaum eingreifen kann. Das einzige, was ich machen kann, ist meine Gefühle so gut wie möglich zu verbergen. Aber da bin ich leider nicht sehr gut drin. Wenn ich frustriert bin, weiß die ganze Welt, dass ich frustriert bin.
2. Ich überlege mir dann, wie ich mich stattdessen gerne fühlen und verhalten würde.
Ich sehne mich danach, stets blitzschnell denken und alles begreifen zu können. Ich wäre mir selber so gerne geduldig und auch großmütig gegenüber. Ich würde gerne liebevoller mit mir selber umgehen können, wenn ich wieder mal etwas am Computer nicht verstehe und jemand anderes, nämlich die Person, die es mir gerade erklärt, Zeuge davon wird. Ich möchte gerne entspannt und locker bleiben und darauf vertrauen, dass ich es schon noch verstehen werde. Bis jetzt habe ich ja IMMER ALLES verstanden, was mir in Bezug auf Computer und Software begegnet ist.
Und selbst, wenn ich es mal nicht schaffen sollte, die Gelassenheit zu haben, die ich mir so wünsche, würde ich mich gerne so verhalten, dass niemand merkt, was in mir vorgeht.
3. Ich spiele das "Wäre-es-nicht-schön-wenn-Spiel".
Ich stelle mir also die Situation mit meiner Vorgesetzten vor und versuche bewusst das Gefühl von Panik, dass sogar jetzt in mir aufzusteigen versucht, zu unterdrücken. Stattdessen spiele ich das "Wäre-es-nicht-schön-wenn-Spiel" und male mir so gut es geht aus, wie ich mich gerne statt dessen fühlen und verhalten möchte.
Ich frage mich: Wäre es nicht schön, wenn ich den Ausführungen meiner Chefin vollkommen gelassen und entspannt zuhören könnte? Wäre es nicht schön, wenn in solchen Momenten nur Gedanken durch meinen Kopf gingen, die von tröstender und aufbauender Natur wären? Wäre es nicht schön, wenn ich mir sagen könnte, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn ich manches nicht auf Anhieb verstehe? Wäre es nicht schön, wenn ich innerlich vollkommen sicher wäre, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich das Programm beherrsche?
Das ist es dann auch schon. Natürlich gibt es noch viele andere Methoden. Ich selber kenne und benutze noch mindestens fünf andere Wege, um mich zu einer Verhaltensveränderung zu bringen. Aber ich muss ehrlich gestehen, dass ich faul bin. Die anderen Methoden bedürfen mehr Aufmerksamkeit und Arbeit und ich suche mir immer die Methode, die mich am wenigsten Kraft kostet und trotzdem zum Ziel bringt. Für ein Problem wie dieses, ist das perfekt. Und es funktioniert.
Als mir meine Chefin ein paar Tage später wieder etwas am Computer erklärte, spürte ich sofort, wie ich wieder ärgerlich wurde. Aber gleichzeitig erinnerte ich mich auch an die Gefühle, die mein "Wäre-es-nicht-schön-Spiel" in mir ausgelöst hatte. Und plötzlich entspannte ich mich. Ich war zwar noch weit von der Vision entfernt, die ich mir von dieser Situation ausgemalt hatte, aber ich fühlte mich trotzdem erheblich gelassener als beim letzten Mal und war somit, glaube ich, auch erheblich netter zu ihr.
Karina
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