Nichts macht mich wütender als Leute, die mir durch Motivationsgebrabbel Leistung abschmeicheln wollen.
Andrew joggt - nicht übermäßig aber regelmäßig. Jedes Mal sind es so 10 bis 12 Kilometer. Zwei Jahre lag er mir in den Ohren, dass ich doch auch mal mit dem Laufen anfangen solle. Es sei so toll, so erholsam und danach würde man sich unter Garantie einfach fantastisch fühlen. Natürlich glaubte ich ihm kein Wort. Ich weiß genau, dass ich mich nach Sport nie gut fühle (siehe mein Post "Sport ist Mord").
Aber trotzdem gab ich eines Tages nach. Ich wollte ja keine Spielverderberin sein. Seitdem ich hierher gezogen bin, habe ich so viele Dinge zum ersten Mal ausprobiert Da wollte ich auch vor dem Joggen nicht halt machen. Aber ich konnte mir wirklich nichts Langweiligeres vorstellen, als stundenlang irgendwelche Straßen entlang zu traben und dabei zu keuchen und zu schwitzen. Nee, nee.
Ich schmiss mich aber zünftig in meine Leggins und kramte uralte Sneakers raus (so etwas nannte man zu meiner Zeit noch Turnschuhe). Ich turnte Andrews Stretchübungen und dann trabten wir los. Etwa 50 Meter hinter unserem Haus steigt die Straße um ein paar Grade an und ich merkte bereits wie ich zu keuchen anfing. Der arme Andrew guckte ganz verdutzt. Für ihn hatte das Rennen noch gar nicht begonnen.
Ich schnappte also schon bald nach Luft und ungefähr nach einem Kilometer wollte ich eine Pause einlegen. Aber Andrew, Amerikaner, der er ist, tat genau das, was hier beigebracht bekommen. Er gab mir ein Pep-Up Talk von der feinsten Sorte.
"Komm, das schaffst du schon. Nur bis zur nächsten Ecke. Das ist doch gar nicht weit. Du wirst sehen, je länger du läufst, desto leichter wird es. Nicht aufgeben. Du machst das fantastisch. Mache einfach einen Schritt nach dem anderen. Ich kann gar nicht glauben, wie großartig du bist. Ich bin so stolz auf dich. Mach weiter so. Du wirst sehen, beim nächsten Mal wirst du schon viel besser sein." Und so weiter.
Ich ließ ihn etwa 10 Minuten plappern, während ich mich bemühte in mir irgendwie eine positive Einstellung zum Laufen zu finden. Aber ich fand sie nicht, da ich ständig mit aufmunternden Worten beschallt wurde, die bei mir leider nur Wut auslösten.
Also explodierte ich dann irgendwann. "Verdammt noch mal, hör endlich mit diesem ganzen blöden Gequatsche auf! Das sind doch alles Lügen!". Natürlich schnappte er sofort ein. Aber immerhin war endlich Ruhe im Karton.
Aber leider half mir die eingetretene Stille auch nicht weiter. Ich fand das Rennen immer noch anstrengend und beschloss nach weiteren 10 Minuten, ihn alleine weiterlaufen zu lassen und gemütlich wieder nach Hause zu spazieren. Spazieren gehen mag ich. Ist nicht so anstrengend.
Ich habe mich später bei Andrew natürlich entschuldigt und ihm erklärt, dass er, wenn er mich zu etwas motivieren möchte, ja kein Pep-Up Talk verwenden dürfe. Das würde meine Laune derartig rapide verschlechtern, dass ich dann für nichts mehr garantieren könne.
Leider hat einer seiner Söhne dasselbe bei mir versucht, als wir vor ein paar Wochen an einer Steilwand am Klettern waren. Ich war ein wenig freundlicher zu ihm als damals zu meinem Mann aber der Junge ist ein leidenschaftlicher Sportler, betreibt sein ganzes 17jähriges Leben verschiedene Sportarten gleichzeitig und ist mit Coachs aufgewachsen, die ihre Kids durch regelmäßigen Pep-Up Talk motivieren. Als ich mich später zu Hause mit ihm darüber unterhielt, war ihm das Konzept, dass Pep-Up Talk nervig sein könnte, völlig fremd. Er guckte mich nur verständnislos an und beschloss dann schlafen zu gehen. So unheimlich war ich ihm.
Was mich an dieser Form des Pep-Up Talks stört, ist, dass er unehrlich auf mich wirkt. Für mich ist jeder einzelne Satz eine Aneinanderreihung von Lügen oder Gemeinplätzen, die meiner Meinung nach wirklich nicht ausgesprochen werden müssen, wenn ich gerade unter Stress stehe. Und Sport ist Stress für mich - auf allen Ebenen.
Wenn zum Beispiel ein Ami dir beim erklettern einer Steilwand zuruft "Es ist nicht mehr weit, du hast es fast geschafft", dann bedeutet das Wörtchen "fast" und "nicht mehr weit" für mich, dass die Qual in spätestens fünf Minuten vorbei sein wird. In Amerika kann es allerdings bedeuten, dass du noch eine weitere Stunde leiden musst, bevor du endlich am Ziel gelangt bist. Man will hier halt freundlich sein und tut alles, damit du motiviert bleibst. Und da scheint jede Übertreibung gerechtfertigt.
Es gibt nur eins, was mich motiviert, wenn ich mich gerade physisch anstrenge: Als wir diese Steilwand erkletterten, war noch mein anderer Stiefsohn dabei, der das alles genauso unangenehm fand wie ich. Nach einer Weile fingen wir zu kichern an, lachten über unsere eigene Jammerei und schimpften auf die unerwünschten aufmunternden Worte der uns Entgegenkommenden. Mich motiviert Humor. Wenn ich über mich lachen und trotzdem meinen Frust ausdrücken kann, ohne dass irgendjemand sich dabei verletzt fühlt, das hilft mir, durchzuhalten.
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