Samstag, 26. September 2015

Hilfe, ich werde amerikanissimiliert!

Es ist ja logisch, dass ich von der Kultur, in der ich jetzt lebe, beeinflusst werde. Aber was für Veränderungen sind das eigentlich?

Ich habe zwei Bereiche bei mir identifiziert, in denen ich Verhaltensveränderungen wahrgenommen habe.

1. Verhaltensweisen, die direkt an die englische Sprache gekoppelt sind.
  • Meine Stimmlage schraubt sich manchmal ziemlich in die Höhe, wenn ich Amerikanisch spreche. Das ist etwas, was ich überhaupt nicht gut finde aber kaum unter Kontrolle habe. So begrüßen sich amerikanische Frauen z.B meistens schrill und quietschend. Man kann das oft übertrieben in den TV-Shows sehen, aber die Realität ist nicht weit davon entfernt. Ich quietsche jetzt auch, wenn ich Freude oder Begeisterung ausdrücken möchte. Schauerlich, aber wahr.
  • Ich frage ständig wildfremde Leute "How are you doing", ohne auch nur im Geringsten interessiert an ihrem Wohlbefinden zu sein. Diese Frage bedeutet ja im amerikanischen einfach nur "Hallo" und ich zucke immer noch zusammen, wenn mir jemand Fremdes diese Frage stellt. Ich finde nur Freunde und nähere Bekannte dürfen mir solch eine Frage stellen. Aber natürlich mache ich jetzt genau dasselbe. Ich komme mir dabei immer wie eine Heuchlerin vor.
  • Wenn ich Englisch rede, neige ich zu ganz typischen amerikanisch-positiven Übertreibungen. Nichts ist bei mir einfach nur gut oder nett, alles ist jetzt phantastisch und großartig.
  • Ich lächle so viel wie noch nie in meinem Leben und habe ständig Augenkontakt mit wildfremden Menschen. Manchmal sind meine Wangenmuskeln abends ganz verkrampft vom ständigen anlächeln fremder Menschen. Wie sehr sehne ich mich dann nach der Anonymität der Großstadt Berlin, wo ich ohne jeglichen Augenkontakt Menschen anrempeln konnte, ohne ihnen dabei auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Hier entschuldigt man sich mit einem lauten "Excuse me", wenn man sich bereits auf zwei Meter einem anderen nähert. Sehr anstrengend für eine Berlinerin.
  • Ich bin eine Meisterin im Komplimente machen geworden, wenn ich unter Amerikanern bin. Ständig sage ich meiner Vorgesetzten und meinen Kollegen, Andrew und meinen amerikanischen Freundinnen und Bekannten, wie toll sie sind. Andauernd bedanke ich mich bei ihnen für jeden Pup und Kack. Dies ist bestimmt keine schlechte Neuerung in meinem Verhaltensrepertoire aber im Deutschen fällt mir so ein exzessives Loben und Bedanken einfach nicht ein. Das würde sich für mich total übertrieben anfühlen.

2. Mein Alltagsverhalten
  • Als ich anfing meine ersten Buchcover zu gestalten und sie meinen deutschen und amerikanischen Freunden vorlegte, bekam ich ehrliches Feedback von den Deutschen (bei Amerikanern ist es manchmal schwierig Feedback zu kriegen. Negatives Feedback gilt als unhöflich). Aber meine deutschen Freundinnen spiegelten mir klar, dass all die glücklichen Menschen, die mit ausgestreckten Armen einem Sonnenuntergang entgegensprangen doch sehr amerikanisch wirkten. Ich musste ihnen recht geben. Ich war damals, obwohl erst drei Jahre in den USA, schon total vom amerikanischen Buchcover Geschmack geprägt.
  • Ich trage Shorts. Jeder trägt hier Shorts, egal wie alt, dick oder schwabbelig die Beine des Trägers oder der Trägerin auch sein mögen. Als ich hierher zog, schwor ich, dass ich so etwas nie tragen würde. Meine Beine geben das auf gar keinen Fall her. Jetzt trage ich Shorts, auch wenn es nur zu Hause ist, aber trotzdem ist es eine Revolution für mich. Wer weiß, vielleicht werde ich im nächsten Sommer meine Einkäufe in Shorts erledigen. Dann haben mich die Amis aber wirklich vollkommen assimiliert.
  • Meine amerikanischen Baseball Caps darf ich nicht vergessen, hier zu erwähnen.
  • Ich fahre ein viel zu dickes Auto. Als ich mich vor 1 1/2 Jahren zwangsläufig auf die Suche nach einen neuen Wagen machen musste, weil der alte Wage einfach nicht mehr wollte, war ich mir sicher, dass ich etwas Kleines und Sparsames haben wollte. Schließlich hatte ich in Berlin immer kleine und günstige Autos gehabt. Ich setzte mich also in viele schöne fast neue Wagen und landete dann bei einem großen Kia Optima. Ein tolles Auto. Es gibt mir so einen Hauch von Luxus. Es ist so groß und gleitet über Straßen als wenn es auf Schienen laufen würde. Aber in Deutschland hätte ich mir nie so etwas gekauft. Keine Ahnung, was mich geritten hatte, als ich mich für diesen Wagen entschied.
  • Ich empfinde tiefe Dankbarkeitsgefühle meinem Arbeitgeber gegenüber, weil ich zwei Wochen bezahlten Urlaub im Jahr bekomme. In Deutschland habe ich viele Jahre für die Gewerkschaften gearbeitet. Die Arbeitsbedingungen sind einfach klasse dort. Aber sechs Wochen bezahlter Urlaub war für mich eine Selbstverständlichkeit, schon lange bevor ich dort gelandet bin. Jetzt wälze ich mich wie ein dankbarer Welpe vor meinem Arbeitgeber, weil ich zwei Wochen bekomme. Seufz.
Da ich diesen Artikel in Deutsch geschrieben habe, bewerte ich die Dinge, die ich hier geschrieben habe auch mit der deutschen Seite meines Hirns. Und diese Seite mag meine amerikanischen Verhaltensweisen nicht so sonderlich. Ich spüre außer Belustigung sogar eine leichte Verachtung für manche meiner Verhaltensweisen.

Aber ich weiß genau, sobald ich diesen Artikel ins Englische übersetzen werde, wird meine amerikanische Seite über dieselben neuen Eigenschaften urteilen. Und dort fühlt sich alles eigentlich ganz normal an.

Das hört sich schon fast schizophren an.

Aber es macht Spaß, solche Beobachtungen an mir zu machen. Es ist spannend zu sehen, wie ich mich verändere. Das war ja auch einer der Gründe dafür, dass ich bereit war auszuwandern (Andrew war nicht der einzige Grund). Ich wollte sehen, was das Leben in einem fremden Land aus mir machen würde.

Mal sehen, was noch kommt.

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