Sonntag, 23. August 2015

Was ist schlecht an einer perfekten Vorgesetzten?

Sich mit anderen zu vergleichen schenkt mir selten gute Laune. Meistens schneide ich bei solchen Vergleichen ziemlich schlecht ab und manövriere mich in die schönste miese Stimmung, die man sich vorstellen kann.

Meine Vorgesetzte ist 18 Jahre jünger als ich, unglaublich kompetent und gleichzeitig wahnsinnig geduldig und lieb dabei. Sie führt mich mit mütterlich liebevoller Hand durch die für mich manchmal undurchdringlichen Dschungel der Buchführung. Sie hat ein phantastisches Gedächtnis und einen messerscharfen Blick fürs Detail. Aber gleichzeitig wird sie nie ungeduldig oder arrogant wenn sie mir etwas zum fünften Mal erklären muss. Außerdem hat sie die Eigenschaft, dass sie IMMER, egal wie groß der Stress auch sein mag, jedem, der zu ihr mit einem Anliegen kommt, sofort behilflich ist.

Mir geht es wirklich gut mit ihr. Aber natürlich finde ich selbst im Paradies noch einen Grund, weswegen ich mich schlecht fühlen kann.

Seufz.

Denn natürlich vergleiche ich mich ständig mit ihr und habe Tage an denen ich mich unglaublich dumm im Vergleich zu ihr fühle.

Historisch weiß ich, woran das liegt. Als Jugendliche habe ich viele Jahre in der Schule hinterhergehinkt, obwohl ich mich wirklich jeden Abend (auch an den Wochenenden) mustergültig mit aufrechtem Rücken an meinen Schreibtisch setzte und in Totenstille alles nacharbeitete, was der Schultag so gebracht hatte. Aber all meine Disziplin und Lehrwilligkeit ermöglichte es mir immer gerade mal so an der Nicht-Versetzung vorbei zu schrapsen. Ich war totunglücklich, hatte heimliche Fressattacken, hasste mich, hasste die Welt und schaffte es einfach nicht richtig, in der Schule mitzukommen.

In dieser Zeit kam ich zu der Überzeugung, dass ich dumm sei.

Jahre später habe ich mehr über mich gelernt und bin theoretisch zu der Erkenntnis gelangt, dass ich wahrscheinlich gar nicht so dumm bin sondern unser Schulsystem manchmal nicht dazu geeignet ist, jeden Lerntyp zu unterstützen. Denn es stellten sich in Bezug auf meine Aufnahmefähigkeit zwei Dinge heraus:

1. Ich bin ein haptischer Lerntyp, was schlecht im herkömmlichen Klassenzimmer zu unterstützen ist. Ich muss mich bewegen, wenn ich etwas lerne, muss dabei mit meinen Händen beschäftigt sein (und damit ist nicht das Schreiben gemeint) und eine unruhige Geräuschkulisse unterstützt mich beim Lernen ungemein. Sobald ich anfing, den Fernseher beim Lernen laufen zu lassen und dabei herumzulaufen oder andauernd die Lernposition zu wechseln, wurde das Lernen ein Kinderspiel. Alles blieb jetzt mit Leichtigkeit haften.

2. Negative Emotionen lassen mich intellektuell zum Idioten verkümmern. Egal, wie sehr ich mich dann auch anstrenge, nichts bleibt in meinem Hirn haften, wenn ich frustriert, wütend oder traurig bin.
Ich muss also in einer zufriedenen und ausgeglichenen Stimmung sein, wenn ich intellektuell aufnahmefähig sein will.

Was hat das nun mit meiner perfekten Vorgesetzten zu tun?

Meine Bewunderung für sie ist unermesslich, die Verdammung meiner mangelnden Intelligenz und Kompetenz aber ebenso. Und damit löse ich eine Kettenreaktion aus. Ich fühle mich schlecht, weil ich mich als nicht gut genug empfinde. Meine Aufnahmefähigkeit ist stark reduziert, wenn ich mich schlecht fühle und ich kann mir nichts merken. Und damit fühle ich mich natürlich bestätigt, dass ich nicht intelligent genug bin, um meinen Job zu machen. Ergo: Ich mutiere wieder zu der unsicheren Jugendlichen, die ich vor 35 Jahren war.

Immer wieder begegne ich dieser jüngeren Version von mir und scheine sie einfach nicht los zu werden. Meistens haben wir ein Arrangement in dem sie sich im Hintergrund hält, aber sobald ich mit kompetenten und/oder gut verdienenden Menschen in Kontakt komme, meint meine innere Teenagerin, dass es wieder an der Zeit wäre, mich dumm und schlecht zu fühlen.

Wenn ich erst mal in so einer Phase bin, hilft es mir oft nicht, an den Glaubenssätzen zu arbeiten, die meine negativen Gefühle verursachen. Das einzige, was mir hilft, schneller durch so etwas durch zu kommen, ist viiieeel Schlaf und akzeptieren, dass ich mich eben gerade dumm fühle. In solchen Momenten bringt es mir nichts, nach Beweisen zu suchen, die belegen würden, dass ich es nicht bin. Ich finde solche Beweise dann einfach nicht. Also heißt es für mich im wahrsten Sinne: Augen zu und durch.

Und dann, denn es gibt immer ein "und dann", wenn es mir besser geht, sollte ich mich mit meinen alten Glaubenssätzen beschäftigen. Aber was mache ich dann? Da es mir besser geht, ich mich also gerade mal wieder für normal intelligent halte, habe ich keine Lust, mich mit solchen schmerzlichen Dingen auseinanderzusetzen.

Und das ist das perfekte Rezept, um sich nicht weiter zu entwickeln. Kann ich nicht empfehlen. Aber so ist das mit mir. Erst wenn es mir richtig schlecht geht, traue ich mich endlich, mich meinen alten inneren Dämonen zu stellen.

Solange ich das nicht tue, wird meine innere Teenagerin wahrscheinlich immer wieder mal die Oberhand gewinnen.

Und wer weiß, wozu es gut ist, dass sie ein Teil von mir ist? Vielleicht sorgt sie dafür, dass ich mehr Verständnis für die Unsicherheiten anderer Menschen habe. Oder sie gibt mir einfach nur Stoff für diesen Blog.

Also ich glaube, ich gehe jetzt besser schlafen.

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