Unser Körper ist oft nur ein Spiegelbild und nicht die Ursache für
die Gefühle, die wir erleben. Mein Überwicht war z.B. ein perfektes
Sinnbild für all meine Gefühle, die ich seit frühester Jugend mit mir
rumschleppte. Ich hatte immer den Eindruck, dass ich irgendwie falsch
war und gehörte nirgendwo dazu. Ich stand stets im Ausseits. Je mehr ich
darum kämpfte, irgendwo reinzupassen, desto schwerer wurde ich. Erst als
ich anfing meine inneren Konflikte direkt anzugehen und zu lösen, statt
mich durch Diäten „passend“ zu machen, fand ich eine Möglichkeit,
dauerhaft abzunehmen.
Vor einer Woche bin ich wieder von
Amerika nach Berlin geflogen, um alle meine Lieben dort zu besuchen.
Jedes Mal, wenn ich meine Koffer im Wagen verstaue, der mich zum Bus
bringt, der mich wiederum zum Flughafen in Boston bringt, freue ich mich
riesig auf alle, die ich dann in Berlin sehen werde.
Und
jedes Mal wenn ich in den Flieger und mich in einen dieser engen Sitze
der Economy Class niederlasse, freue ich mich, dass ich in diese Sitze
überhaupt passe. Ich suche mir die beiden Enden meines Sicherheitsgurtes
und schließe ihn mit Leichtigkeit über meine Hüfte. Manchmal kann ich
es immer noch nicht fassen, dass das möglich ist.
Ich
erinnere mich noch lebhaft an meinen letzten Flug vor mehr als 16 Jahren
als ich ungefähr 135 kg wog und mit einer Gruppe zu einem
Fortbildungskurs nach Spanien flog. Ich passte nicht in meinen Sitz. Ich
musste mich schräg in ihn hinein quetschen, so dass eine Pobacke
außerhalb des Sitzes blieb. Der Gurt war bei Weitem zu kurz und die
Stewardess musste eine Verlängerung holen, die aber auch nicht mehr
passte.
So saß ich also mit verkrümmter Wirbelsäule, meine
linke Hüfte nach oben verschoben aber meinen Oberkörper von meinem
rechten Nachbarn so weit nach links abgebogen wie möglich, da ich ihn
nicht mit meinen dicken Oberarmen in die Quere kommen wollte. Hinzu kam,
dass sich die Stewardess enorm um mich bemühte, da sie Mitleid mit mir
hatte. Sie versuchte mir, mein unbequemes Schicksal zu erleichtern aber
erreichte nur, dass ich mich noch mehr unter ihrer Aufmerksamkeit
schämte.
Zum Glück dauerte der Flug innerhalb Europas nur
wenige Stunden. Niemals könnte ich mir vorstellen, in dieser Position
einen sechs oder sieben stündigen interkontinentalen Flug zu verbringen.
Damals
hatte ich mir geschworen nie wieder ein Flugzeug zu betreten. Nie
wieder wollte ich mir diese Demütigung antun und wenn es bedeutete, dass
ich nie wieder reisen würde. Ich war meiner Esssucht damals vollkommen
ausgeliefert und nahm dann in den darauf folgenden Jahren etwa noch
weitere 20 Kilo zu. Diesen Schwur hatte ich also zwangsläufig einhalten
müssen bis ich dann viele Jahre später wider Erwarten mein Normalgewicht
erreicht hatte.
Als ich mich also vor einer Woche
wieder einmal, wie so viele Male in den letzten sechseinhalb Jahren, in
einen dieser Economy Sitze gleiten ließ, kam mir einer der Grundsätze
des Gesetzes der Anziehung in den Sinn: „Wie im Innen so im Außen“. Dass
ich jetzt in alle Sitze passe, ist für mich auch ein äußeres Bild
dafür, dass ich generell das Gefühl habe, besser in das Leben und in
unsere Gesellschaft zu passen. Und dieses Gefühl hatte ich VOR meiner
Gewichtsabnahme entwickelt.
Übergewichtig, wie ich war,
musst ich früher immer Angst haben, dass Stühle entweder zu eng oder
nicht stabil genug für mich waren. Dies spiegelte genau mein Gefühl
wieder, dass ich nicht in diese Welt zu passen schien. Und das hatte
nichts mit meinem Übergewicht zu tun. Ich hatte schon von Kindheit an
immer den Eindruck, nicht richtig zu sein, mich falsch zu verhalten.
Irgendwie schien ich immer die falschen Dinge zu sagen oder zu tun, die
mich dann von den Menschen meiner Umgebung absonderten. Ich fand als
Jugendliche nie die richtige Klicke, bei der ich mich zugehörig fühlen
konnte und entwickelte im Laufe der Jahre Sozialängste, die sich
gewaschen hatten. Ich hatte auch immer die Sorge, anderen zu sehr zur
Last zu fallen oder sie zu stören. Ich fühlte mich, solange ich denken
kann, überall fehl am Platze und versuchte, mich so gut, wie es möglich
war, von der Welt und den Menschen fern zu halten.
Wie sehr war mein Übergewicht ein perfekter Spiegel für all diese Gefühle und Gedanken.
Dann
lernte ich die Gewaltfreie Kommunikation kennen, die mir half, meine
sozialen Ängste zu überwinden. Es dauerte zwei drei Jahre, aber dann war
ich vollkommen verwandelt. Ich hatte keine Angst vor mir unbekannten
Menschen mehr und konnte mich in größeren Gruppen wohl fühlen, etwas,
was mir vorher noch nie möglich gewesen war. Und ich lernte in meinen
Beziehungen anders mit den Menschen und auch mit mir selber, zu
kommunizieren. Ich fühlte mich mit meiner Familie und mit Freunden immer
wohler.
Das Leben öffnete sich für mich mehr und mehr und ich
fand Gruppen und Gemeinschaften, in denen ich vollkommen angenommen
wurde. Es war toll.
Und dann fand ich eine Gruppe mit deren Hilfe ich mein gesamtes Übergewicht abgenommen habe.
Ich
weiß nicht, ob ich vergangene Ereignisse überinterpretiere. Manchmal
neigt man ja im Nachhinein, in Ereignissen einen Sinn zu sehen, der
einem damals vollkommen verborgen geblieben war. Aber es stimmt
wirklich: Ich habe erst meine Gefühle von Fremdheit, Angst, Scham und
Einsamkeit überwunden, bevor ich eine Methode fand, mit der ich
dauerhaft abnehmen konnte.
Erst als ich lernte, mich wohl mit
anderen Menschen zu fühlen, mich als vollkommen in Ordnung zu empfinden
und ich auch nicht mehr fand, dass ich für andere eine Last war, verlor
ich auch meine physische Last.
Wie im Innen so im Außen. Für
mich hat es sich immer bewahrheitet, dass, wenn ich nur das Äußere
verändern wollte, ohne mich mit dem Inneren auseinanderzusetzten, die
Veränderungen nie von Dauer waren (z.B. Diäten). Zwar half mir die
Gewichtsabnahme, die ich immer bei Diäten erreichte, mich etwas wohler
in meinem Körper zu fühlen, aber meine anderen Gefühle von Scham und
Isoliertheit blieben bestehen. Also folgte auch mein Körper diesen
Gefühlen und ich nahm bald wieder alles zu, was ich mir so mühsam
abgehungert hatte.
Es ist ein langer Weg für mich gewesen, bis
ich gelernt hatte, mich wohl in dieser Welt zu fühlen. Der Weg der
Gewichtsabnahme selber, immerhin 80 kg, war im Vergleich dazu dann kurz.
Er dauerte nur eineinhalb Jahre.
Heute spiegelt die
Freiheit, mit der ich meine Sitzplätze wählen kann, wieder, mit was für
einer Leichtigkeit ich mich durch mein Leben und meine Beziehungen
bewege. Es ist eine Freude, leicht zu sein. Auf allen Ebenen. Wie im
Innen so im Außen.
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