Mittwoch, 29. April 2015

Was eine über den Sitz ragende Pobacke über mich verraten kann.

Unser Körper ist oft nur ein Spiegelbild und nicht die Ursache für die Gefühle, die wir erleben. Mein Überwicht war z.B. ein perfektes Sinnbild für all meine Gefühle, die ich seit frühester Jugend mit mir rumschleppte. Ich hatte immer den Eindruck, dass ich irgendwie falsch war und gehörte nirgendwo dazu. Ich stand stets im Ausseits. Je mehr ich darum kämpfte, irgendwo reinzupassen, desto schwerer wurde ich. Erst als ich anfing meine inneren Konflikte direkt anzugehen und zu lösen, statt mich durch Diäten „passend“ zu machen, fand ich eine Möglichkeit, dauerhaft abzunehmen.

Vor einer Woche bin ich wieder von Amerika nach Berlin geflogen, um alle meine Lieben dort zu besuchen. Jedes Mal, wenn ich meine Koffer im Wagen verstaue, der mich zum Bus bringt, der mich wiederum zum Flughafen in Boston bringt, freue ich mich riesig auf alle, die ich dann in Berlin sehen werde.

Und jedes Mal wenn ich in den Flieger und mich in einen dieser engen Sitze der Economy Class niederlasse, freue ich mich, dass ich in diese Sitze überhaupt passe. Ich suche mir die beiden Enden meines Sicherheitsgurtes und schließe ihn mit Leichtigkeit über meine Hüfte. Manchmal kann ich es immer noch nicht fassen, dass das möglich ist.

Ich erinnere mich noch lebhaft an meinen letzten Flug vor mehr als 16 Jahren als ich ungefähr 135 kg wog und mit einer Gruppe zu einem Fortbildungskurs nach Spanien flog. Ich passte nicht in meinen Sitz. Ich musste mich schräg in ihn hinein quetschen, so dass eine Pobacke außerhalb des Sitzes blieb. Der Gurt war bei Weitem zu kurz und die Stewardess musste eine Verlängerung holen, die aber auch nicht mehr passte.

So saß ich also mit verkrümmter Wirbelsäule, meine linke Hüfte nach oben verschoben aber meinen Oberkörper von meinem rechten Nachbarn so weit nach links abgebogen wie möglich, da ich ihn nicht mit meinen dicken Oberarmen in die Quere kommen wollte. Hinzu kam, dass sich die Stewardess enorm um mich bemühte, da sie Mitleid mit mir hatte. Sie versuchte mir, mein unbequemes Schicksal zu erleichtern aber erreichte nur, dass ich mich noch mehr unter ihrer Aufmerksamkeit schämte.

Zum Glück dauerte der Flug innerhalb Europas nur wenige Stunden. Niemals könnte ich mir vorstellen, in dieser Position einen sechs oder sieben stündigen interkontinentalen Flug zu verbringen.

Damals hatte ich mir geschworen nie wieder ein Flugzeug zu betreten. Nie wieder wollte ich mir diese Demütigung antun und wenn es bedeutete, dass ich nie wieder reisen würde. Ich war meiner Esssucht damals vollkommen ausgeliefert und nahm dann in den darauf folgenden Jahren etwa noch weitere 20 Kilo zu. Diesen Schwur hatte ich also zwangsläufig einhalten müssen bis ich dann viele Jahre später wider Erwarten mein Normalgewicht erreicht hatte.

Als ich mich also vor einer Woche wieder einmal, wie so viele Male in den letzten sechseinhalb Jahren, in einen dieser Economy Sitze gleiten ließ, kam mir einer der Grundsätze des Gesetzes der Anziehung in den Sinn: „Wie im Innen so im Außen“. Dass ich jetzt in alle Sitze passe, ist für mich auch ein äußeres Bild dafür, dass ich generell das Gefühl habe, besser in das Leben und in unsere Gesellschaft zu passen. Und dieses Gefühl hatte ich VOR meiner Gewichtsabnahme entwickelt.

Übergewichtig, wie ich war, musst ich früher immer Angst haben, dass Stühle entweder zu eng oder nicht stabil genug für mich waren. Dies spiegelte genau mein Gefühl wieder, dass ich nicht in diese Welt zu passen schien. Und das hatte nichts mit meinem Übergewicht zu tun. Ich hatte schon von Kindheit an immer den Eindruck, nicht richtig zu sein, mich falsch zu verhalten. Irgendwie schien ich immer die falschen Dinge zu sagen oder zu tun, die mich dann von den Menschen meiner Umgebung absonderten. Ich fand als Jugendliche nie die richtige Klicke, bei der ich mich zugehörig fühlen konnte und entwickelte im Laufe der Jahre Sozialängste, die sich gewaschen hatten. Ich hatte auch immer die Sorge, anderen zu sehr zur Last zu fallen oder sie zu stören. Ich fühlte mich, solange ich denken kann, überall fehl am Platze und versuchte, mich so gut, wie es möglich war, von der Welt und den Menschen fern zu halten.

Wie sehr war mein Übergewicht ein perfekter Spiegel für all diese Gefühle und Gedanken.
Dann lernte ich die Gewaltfreie Kommunikation kennen, die mir half, meine sozialen Ängste zu überwinden. Es dauerte zwei drei Jahre, aber dann war ich vollkommen verwandelt. Ich hatte keine Angst vor mir unbekannten Menschen mehr und konnte mich in größeren Gruppen wohl fühlen, etwas, was mir vorher noch nie möglich gewesen war. Und ich lernte in meinen Beziehungen anders mit den Menschen und auch mit mir selber, zu kommunizieren. Ich fühlte mich mit meiner Familie und mit Freunden immer wohler.

Das Leben öffnete sich für mich mehr und mehr und ich fand Gruppen und Gemeinschaften, in denen ich vollkommen angenommen wurde. Es war toll.

Und dann fand ich eine Gruppe mit deren Hilfe ich mein gesamtes Übergewicht abgenommen habe.
Ich weiß nicht, ob ich vergangene Ereignisse überinterpretiere. Manchmal neigt man ja im Nachhinein, in Ereignissen einen Sinn zu sehen, der einem damals vollkommen verborgen geblieben war. Aber es stimmt wirklich: Ich habe erst meine Gefühle von Fremdheit, Angst, Scham und Einsamkeit überwunden, bevor ich eine Methode fand, mit der ich dauerhaft abnehmen konnte.
Erst als ich lernte, mich wohl mit anderen Menschen zu fühlen, mich als vollkommen in Ordnung zu empfinden und ich auch nicht mehr fand, dass ich für andere eine Last war, verlor ich auch meine physische Last.

Wie im Innen so im Außen. Für mich hat es sich immer bewahrheitet, dass, wenn ich nur das Äußere verändern wollte, ohne mich mit dem Inneren auseinanderzusetzten, die Veränderungen nie von Dauer waren (z.B. Diäten). Zwar half mir die Gewichtsabnahme, die ich immer bei Diäten erreichte, mich etwas wohler in meinem Körper zu fühlen, aber meine anderen Gefühle von Scham und Isoliertheit blieben bestehen. Also folgte auch mein Körper diesen Gefühlen und ich nahm bald wieder alles zu, was ich mir so mühsam abgehungert hatte.

Es ist ein langer Weg für mich gewesen, bis ich gelernt hatte, mich wohl in dieser Welt zu fühlen. Der Weg der Gewichtsabnahme selber, immerhin 80 kg, war im Vergleich dazu dann kurz. Er dauerte nur eineinhalb Jahre.

Heute spiegelt die Freiheit, mit der ich meine Sitzplätze wählen kann, wieder, mit was für einer Leichtigkeit ich mich durch mein Leben und meine Beziehungen bewege. Es ist eine Freude, leicht zu sein. Auf allen Ebenen. Wie im Innen so im Außen.

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