Montag, 12. Januar 2015

Wie kann ich besser zuhören?

Einer der vielen Gründe, warum ich meine Freundinnen brauche und sie mich, ist, weil wir jemanden brauchen, dem wir alles erzählen können. Wir brauchen Freundinnen, mit denen wir unsere Probleme wälzen können, die uns zuhören und konstruktiv dabei helfen, unser Durcheinander an Gedanken und Gefühlen zu sortieren, wenn wir gerade Mal in einer Krise stecken.

Ich kann eigentlich ganz gut zuhören. Ich habe das gelernt und für eine Weile habe ich mich sogar dafür bezahlen lassen. Wirkliches Zuhören ist der wesentlichste Teil eines Coachings- und Therapieprozesses. Und trotzdem habe ich mich gerade wieder einmal dabei erwischt, wie ich bei einer guten Freundin, die in einer Beziehungskrise dringend Beistand brauchte, in uralte Muster zurückfiel. Ich machte es genauso, wie man es nicht machen sollte, wenn man wirklich hilfreich sein will.

Woran erkenne ich, dass ich eine schlechte Zuhörerin bin?
  1. Meine Freundin ist in der Krise aber ich rede mehr als sie. Ich bin so beschäftigt damit, sie wissen zu lassen, was ich über ihre Situation denke, dass sie kaum zu Wort kommt.
  2. Ich schweige und gucke sie, zwischendurch mal seufzend, mit großen Augen an. Da hat sie zwar viel Raum zum reden aber der fühlt sich eher leer für sie an. Bei solch einem Gegenüber könnte sie auch mit ihrem Spiegelbild sprechen.
  3. Ich schaue ständig auf die Uhr.
  4. Die Erzählungen meiner Freundin lösen in mir starke Gefühle aus und plötzlich ist meine Freundin diejenige, die mich trösten oder beruhigen muss. Irgendwie ist der Fokus von ihr auf mich gerutscht, weil ihre Geschichte vielleicht Erinnerungen an meine eigenen Beziehungskrisen geweckt hat.
  5. Ich überschütte sie mit Ratschlägen. Ich habe gelernt: Ratschläge sind auch Schläge. Nur wenn jemand um Rat fragt, ist ein Rat willkommen, ansonsten kann man sich die Luft sparen, denn ungebetenen Ratschläge sagen nur aus, dass ich es besser weiß als meine Freundin. Und das ist etwas, was keiner in einer Krisensituation hören will. Außerdem ist sie wahrscheinlich noch gar nicht in dem Stadium, wo sie nach Lösungen sucht. Sie will einfach nur reden und mit ihren Gefühlen akzeptiert werden.
  6. Ich konfrontiere sie mit Vorwürfen, die oft mit "Du hast doch gewusst, worauf du dich da einlässt . . . " oder "Ich habe dir doch gesagt, dass es ein schlimmes Ende nehmen würde" anfangen.
  7. Ich werde entweder stellvertretend für sie auf den Beziehungspartner wütend oder ich werde arrogant, weil ich ihre Entscheidungen einfach dumm finde. Ich werte entweder sie oder ihn ab. Diese Bewertungen müssen nicht laut ausgesprochen werden. Allein die Tatsache, dass ich sie denke, hindert mich schon daran, dass ich kein offenes Ohr für sie haben kann.
Ich muss gestehen, dass ich letztens fast alle diese Fehler bei meiner Freundin gemacht habe (außer, dass ich auf die Uhr geguckt habe oder wortlos geseufzt habe). Gott sei Dank sind Freundinnen nicht ganz so schnell zu verschrecken. Ansonsten hätte ich wohl keine mehr, denn dieses Reinrutschen in uralte Muster passiert mir manchmal. Im Nachhinein ärgere ich mich maßlos darüber, denn ich weiß es eigentlich besser.

Wie verhält sich eine gute Zuhörerin?
Gutes Zuhören ist für mich, wenn sich meine Freundin am Ende unseres Treffens nicht nur beruhigt hat, sondern auch Klarheit über ihre Gefühle und Gedanken gewonnen hat. Richtig gutes Zuhören ist, meiner Meinung nach, wenn diese Freundin am Ende vielleicht sogar auf eine Lösung ihres Problems gekommen ist. Und damit meine ich, dass sie selber darauf gekommen sein muss und nicht, dass ich ihr gesagt habe, was meiner Meinung nach die richtige Lösung ist. Denn es ist nun einmal so, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen muss, wenn er sich Schwierigkeiten gegenüber sieht. Lösungen, die für mich richtig wären, könnten bei anderen den genau gegenteiligen Effekt haben. Darum ist es so wichtig unseren Freunden dabei zu helfen, IHREN EIGENEN Weg zu einem besseren Leben zu finden.

Dieser Weg kann manchmal dem unseren recht ähnlich sein aber manchmal eben auch nicht. Meine Herausforderung als Zuhörerin dabei ist, meiner Freundin nicht meine Meinungen und Bewertungen überzustülpen. Und das kann manchmal eine ziemliche Herausforderung darstellen. Bei Menschen, die mir nicht so nahe stehen, fällt mir das erheblich leichter als bei guten Freunden oder Familienangehörigen, denn ich muss eine innere Distanz zum Erzählten wahren. Mach das mal, wenn dir wirklich was an deiner Freundin liegt.

Aber es ist möglich.

Und zwar geht das so:

Was muss ich tun, damit ich meiner Freundin in einer Krise wirklich helfen kann?
  1. Ich nehme bewusst wahr, was für Gefühle die Erzählung meiner Freundin in mir auslöst.
  2. Entweder schaffe ich alleine durch das Bewusst machen, diese Gefühle in den Hintergrund zu schieben, und somit Distanz zum Erzählten zu wahren oder
  3. Ich finde schnell heraus, welche unerfüllten Bedürfnisse hinter meinen Gefühlen stecken und ich verschiebe die Befriedigung dieser Bedürfnisse mitsamt der dazugehörigen Gefühle erst mal in den Hintergrund. So sollte ich mir bewusst machen, dass ich z.B. empört darüber bin, dass der Freund meiner Freundin ihr nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hat. Wenn ich merke, dass ich diese Empörung nicht in den Hintergrund schieben kann, um für meine Freundin weiter offen sein zu können, frage ich mich, was ich brauche, um diese Empörung aufzulösen. In diesem Fall würde mir sofort einfallen, dass es mir sehr wichtig ist, dass sich Männer Frauen gegenüber respektvoll verhalten. Was Männer angeht, habe ich ein starkes Bedürfnis nach Respekt. Das hat mit MEINER Vergangenheit zu tun aber nichts mit ihrer Geschichte. Wenn ich das so klar wahrnehmen kann, kann ich oft auch meine Gefühle für den Moment in den Hintergrund stellen. Es mag vielleicht bei anderer Gelegenheit der Zeitpunkt kommen, wo ich darüber reden kann. Jetzt soll meine Freundin die Aufmerksamkeit bekommen, die sie braucht.
  4. Ich höre meistens schweigend zu aber stelle manchmal eine Frage, um ihr zeigen, dass ich bei ihr bin und dass ich sie so annehme, wie sie ist. Ich spiegele ihr ab und zu wieder, was ich von ihr wahrnehme, indem ich frage, wie sich meine Freundin fühlt. Ist sie traurig, wütend, erschöpft, bitter, verzweifelt oder einsam?
  5. Da ich weiß, dass ihre Gefühle ein Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse sind, stelle ich Vermutungen darüber an, welche Bedürfnisse bei ihr denn gerade unerfüllt sind und ich frage sie, ob meine Vermutungen richtig sind. Braucht sie Respekt, Kontakt, Verbindung, Anerkennung oder Nähe?
Und das ist es dann auch schon. Ich muss nicht das Problem für sie lösen, ich muss einfach nur da sein und GEGENWÄRTIG sein. Ich muss ihr wiederspiegeln, was ich von ihr wahrnehme anstatt über sie auszuschütten, was ihre Geschichte so alles für Gedanken und Gefühle und Erinnerungen in mir auslöst. Ich muss NICHT ihr Problem lösen, denn das kann und wird sie selber lösen. Vielleicht wird sie es jetzt ein klein wenig schneller lösen können, weil sie sich ruhiger und klarer fühlt. Aber vielleicht auch nicht.

Egal, was sie tut, es ist ihr Weg und nicht meiner. Es steht mir nicht zu, über sie zu urteilen und zu glauben, dass ich es besser weiß. Denn ich weiß es nicht besser. Ich stecke nicht in ihrer Haut. Ich kenne ihre Geschichte nicht so gut wie sie sie kennt. Ich kenne nur meine Geschichte und alle meine Bewertungen und Ratschläge können nur Teil meiner Geschichte sein. Die einzige Möglichkeit, ihr zu helfen, besteht darin, dass ich ihr helfe, klarer über ihre Situation zu werden. Wenn ich das geschafft habe, bin ich meiner Funktion als Freundin gerecht geworden.

Ich hoffe, dass ich mich an diesen Artikel erinnern werde, wenn ich wieder einmal die Gelegenheit habe, einer Freundin beizustehen.

Karina

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