Dienstag, 2. Dezember 2014

Keine Scherzfrage: Was unterscheidet ein Eichhörnchen von einer Möwe?

Meine Antwort: Es hängt davon ab, wie wir es bewerten.

Heute, am 1. Dezember 2014 war es ungewöhnlich warm, nachdem wir in der letzten Woche einen tüchtigen Schneesturm mit ziemlichen Minustemperaturen hatten. Ich nahm mir mittags also die Zeit und setzte mich für eine halbe Stunden draußen auf eine Bank hin. Und da kam eines dieser großen aber ungemein niedlichen grauen nordamerikanischen Eichhörnchen auf mich zu. Es erhoffte sich ganz eindeutig etwas Essbares von mir. Es umrundete mich einmal und sprang dann zu mir auf die Bank und beschnüffelte meine Tasche ausgiebig. Ich war hin und weg. Das Tier sah soooooo niedlich aus, dieser buschige Schwanz, diese kleine Nase und diese winzigen Knopfaugen und dann seine komische Art, sich ruckartig hüpfend fortzubewegen. EINFACH ENTZÜCKEND, dachte ich mir. Und außerdem war mir ein Eichhörnchen noch nie so nahe gekommen. Es gibt sie hier in ungeheuren Mengen, man sieht sie überall, aber sie sind eigentlich immer sehr scheu. Dieses aber nicht.

Ich freute mich so, dass ich mich so freuen konnte. Ist es nicht etwas wunderschönes, sich so über etwas freuen zu können? Und dann dachte ich mir aber, dass es doch eigentlich ganz schön merkwürdig ist, dass ich mich so über das Eichhörnchen freue. Es tut ja nichts, um mir Freude zu bereiten. Es ist einfach nur so wie es ist. Es tut, was es immer tut (nach Essen suchen) und kümmert sich herzlich wenig um mich. Es hat nicht den blassesten Schimmer, dass es in mir solche wunderbaren Gefühle freisetzt.



Dasselbe gilt für Möwen. Hier, wo ich jetzt lebe, werden Möwen als die Ratten der Lüfte bezeichnet (so werden in Berlin die Tauben bezeichnet). Und auch hier tun die Möwen nicht extra irgendetwas, um den Unmut oder die Abscheu von irgendwelchen Menschen zu erregen. Sie sind einfach wie sie sind, fliegen herum, suchen ständig nach etwas Essbarem und leben ihr Leben.

Was unterscheidet diese beiden Tierearten also voneinander, wenn man mal davon absieht, dass ich hier von zwei vollkommen unterschiedlichen Arten spreche. Warum fühlen wir Menschen uns bei der einen Tierart so und bei der anderen Tierart anders?

Weil WIR sie unterschiedlich bewerten. Es hat gar nichts damit zu tun, was diese Tiere tun oder wie sie es tun. WIR entscheiden, ob wir die Tiere niedlich finden, an ihnen Freude haben oder eben nicht. Ich, z.B., liebe Möwen. Jede einzelne Möwe, die mir in die Nähe kommt, wird von mir bestaunt und angelächelt. Ich kann gar nicht genug von ihnen bekommen. Ich liebe die Laute, die sie von sich geben aber auch ihr (neu)gieriges Verhalten.

Und genau das ist es, was ich auch bei Marshall Rosenberg, Byron Katie, Eckhart Tolle und vielen anderen Lehrern gelernt habe: Was immer wir über andere Menschen, Dinge oder Ereignisse denken, hat NICHTS mit der Realität zu tun. Dasselbe gilt aber auch umgekehrt: Was immer andere Menschen VON UNS denken, hat nichts mit der Realität zu tun. Es sind ihre Bewertungen, ihre Vorurteile, die sie über uns stülpen. Wir dienen ihnen nur als Spiegel für deren Wertesystem. Genauso, wie sie uns als Spiegel für unser Wertesystem dienen.

Wenn wir uns über jemanden ärgeren oder freuen, hängt das damit zusammen, dass wir ihn auf eine bestimmte Art bewertet habe und nicht damit, dass dieser Mensch gut oder schlecht ist. Das heißt aber auch, dass die Bewertungen anderer NIEMALS eine Aussage über uns sein kann. Denn was der eine mag, kann den anderen tödlich nerven. Also wer hätte denn dann recht? Was wären wir dann? Langweilig oder interessant? Zugänglich oder abweisend? Quatschsüchtig oder unterhaltsam?

Besonders in Konfliktsituationen (egal ob inneren oder äußeren) ist es wichtig, dass wir uns darüber klar werden, dass die Situation, die wir als so belastend empfinden, nur deswegen so belastend ist, weil wir sie auf eine bestimmte Art bewerten. Wenn wir uns besser fühlen wollen, müssen wir eine andere Bewertung der Situation oder des Menschen finden. Der Schlüssel zum Glück ist NIEMALS, dass sich der andere Mensch oder die Situation verändert. Es ist IMMER unsere Haltung, unsere Einstellung, unsere Bewertung, die sich als erstes ändern muss. Dann finden wir sofort Erleichterung.

Der frauenfeindliche Milchtrinker 

Und wie kann ich jetzt erreichen, dass ich mich nicht mehr über meinen Kollegen ärgere, der ständig die Milch im Büro leertrinkt und sich dann beschwert, wenn sie leer ist (anstatt mal selber welche mitzubringen)? Ich schaue mir meine Bewertungen über ihn an. In diesem Fall sind es eher Abwertungen. Und ich nehme wahr, dass dies eben nur meine Bewertungen sind. Andere scheint es nicht zu stören, dass er so ein Verhalten hat. Mich stört es, weil ich gleich denke, dass er faul ist und mangelnden Respekt gegenüber Frauen zeigt. Denn er scheint irgendwie zu erwarten, dass nur die Frauen, die Milch mitzubringen haben.

Aber wer weiß, ob meine Bewertungen wirklich der Realität entsprechen? Ich persönlich habe ein großes Bedürfnis nach Respekt bei Männern. Ich reagiere immer sehr empfindlich darauf, wenn ich auch nur vermute, dass irgendetwas zwischen Männern und Frauen nicht absolut gerecht abläuft. Dafür kann ja mein Kollege nichts. Und kann ich seinen angeblichen Mangel an Respekt gegenüber Frauen wirklich alleine an der Milch festmachen? Ist das nicht ein wenig weit gegriffen? Ich habe doch eigentlich gar keine Ahnung, wie er sich sonst im Leben Frauen gegenüber verhält.

Manchmal ärgere ich mich ja gerne so ein bisschen. Denn es scheint mir leider auch ein wenig Befriedigung zu verschaffen, wenn ich Andere abwerten kann. Schließlich erhöht mich das ja dann auch ein wenig. (Ich bin ja so viel besser als mein Kollege, denn schließlich denke ICH an die Milch für meine Kollegen und er nicht. Er ist faul und ich bin es nicht. Ich fühle mich als Frau plötzlich als mehr wert als Männer.). Aber meiner Meinung nach ist der Preis, den ich für diese Selbsterhöhung bezahle, viel zu groß. Denn, obwohl ich mich selbst erhöhe, ärgere ich mich. Ich werde schlecht gelaunt, und weil ich eh gerade schlecht gelaunt bin, fallen mir gleich noch mehr Dinge auf, über die ich mich ärgern kann. (Da haben doch tatsächlich Kollegen wieder nicht ihre Becher abgespült. Und plötzlich bin ich mir sicher, dass, wenn ich heute Abend nach Hause kommen werde, Andrew bestimmt immer noch nicht die Tür repariert hat. Etc, etc.). Mein Tag ist dann also schon mal gelaufen.

Das Geschenk des Eichhörnchens

Es hat mich daran erinnert, dass es egal ist, was ich tue oder wie ich bin. Es wird immer Menschen geben, die das für gut oder schlecht halten. Natürlich ist es mir nicht egal, was Familie, Freunde und Kollegen von mir denken. Und selbstverständlich passe ich mich deren Erwartungen so weit wie, wie es sich für mich authentisch anfühlt. Schließlich will ich ja nicht vereinsamen. Aber wenn ich mal den Erwartungen anderer nicht gerecht werden kann, ist das NIEMALS eine Aussage über mich, sondern eben nur eine Aussage über deren Erwartungen.

Aber das Gleiche gilt auch für mich. Was immer ich von anderen Menschen halte, sie sind so wie sie sind. Sie laufen herum und kümmern sich um ihr Leben. Ich kann mich entscheiden, sie niedlich oder als abstoßend zu empfinden. Wenn ich sie als abstoßend empfinde, werde ich aber genau prüfen, ob dies zu meinem eigenen Wohle ist. Wenn ich mich also z.B. über jemanden ärgere, werde ich entweder weggehen, oder, wenn das nicht geht, dafür sorgen, dass ich mich nicht mehr über diesen Menschen ärgere. Dafür habe ich die Gewaltfreie Kommunikation und Byron Katie.

Versucht es. Es klappt ganz hervorragend. Und nichts erleichtert mehr, als plötzlich vom Ärger loslassen zu können.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen