Meine Schüchternheit wenn ich mich in einer Gruppe befinde, ist wohl noch ein Erbe meiner dicken Zeiten. Darum muss ich immer wieder an mir arbeiten, um nicht bei Andrews Familienfeiern vollkommen zu verkrampfen.
Jetzt ist es wieder so weit. Der größte Feiertag in den USA droht am Horizont. Andrew liebt diesen Feiertag, weil er seiner Meinung nach nur das Beste in sich vereint: Gutes Essen, danach Sport gucken (wobei nur die Männer Fernsehen gucken, während die Frauen in der Küche abwaschen), er kann mit seiner Familie zusammen sein und er muss keine Geschenke kaufen. Ganz besonders der letzte Punkt scheint ihm viel Freude zu bereiten.
Ich selber habe immer ein mulmiges Gefühl bei solchen Gelegenheiten. Und das betrifft nicht nur Thanksgiving. Es betrifft eigentlich alle Familienzusammenkünfte hier, denn eigentlich bin ich ziemlich schüchtern. Das mag noch ein Erbe der Zeit sein, als ich noch extrem übergewichtig war. Jedenfalls ist es so, dass ich mich nur unter vertrauten Menschen wohl und entspannt fühlen kann. Sobald ich unter Fremden bin, verkrampfe ich mich.
So geht es mir auch mit Andrews Familie. Auch wenn sie keine Fremden für mich mehr sein sollten und die freundlichsten Menschen auf Erden sind, fühle ich mich unter ihnen steif wie eine Vogelscheuche. Egal zu welchem Anlass: Geburtstage, Hochzeitstage, Thanksgiving - immer sind es mindestens 15, oft mehr als 20, von ihnen, die auf einmal um mich herum schwirren. Ich habe dann nie die Chance auch nur einen von ihnen näher kennen zu lernen, da unsere Unterhaltung bei diesem Trubel natürlich rein auf der Smalltalk-Ebene bleibt.
Da sitze ich jetzt also und schreibe wieder, wie sehr ich nicht gerne unter mir fremden Menschen bin. Und wieder komme ich zu dem gleichen Schluss: Ich muss im Voraus, bevor ich zu dieser Familienfeier gehe, meine Einstellung verändern. Denn mein Unwohlbehagen wird ja alleine durch meine Gedanken produziert. Und diese Gedanken beruhen ganz offensichtlich auf Erfahrungen, die schon lange keine Gültigkeit mehr haben.
Eine meiner besten Freundinnen sagte mir einmal, dass ich doch einfach nicht mehr auf Partys gehen solle, wenn ich mich dort nicht wohl fühlen würde. Warum mich überwinden oder irgendeine Psychoarbeit im Voraus machen, die meine Einstellung verändern könnte? Warum nicht einfach dazu stehen, dass ich so etwas nun einmal nicht mag?
Weil Partys oder Familienzusammenkünfte ja einen bestimmten Sinn haben. In meinem Fall haben sie nicht den Zweck, mich zu unterhalten, sondern zu zeigen, dass ich Teil von einer Gruppe bin. Und ich will ja auch ein Teil dieser Gruppe, seiner Familie, sein. Ich befürchte, dass es irgendwie komisch rüber käme, wenn ich einfach nicht mehr zu solchen Gelegenheiten erscheinen würde.
Also muss ich jedes Mal, wenn sich so ein Tag wieder nähert, an mir arbeiten. Und da es nun einmal wirklich Arbeit ist, mache ich sie manchmal nicht und bezahle dann damit, dass ich wieder steif lächelnd bei so einer Zusammenkunft rumsitze.
Ich habe also jetzt drei Möglichkeiten, wie ich mich auf Thanksgiving vorbereiten kann:
1. Ich kann mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation meine unerfüllten Bedürfnisse herausfinden und neue Strategien zu deren Befriedigung suchen.
2. Ich kann mit Hilfe von Byron Katies The Work meine negativen Glaubenssätze aufspüren und sie in positive verwandeln.
3. Oder ich konzentriere mich, wenn ich an Thanksgiving denke, nur auf die mir wirklich angenehmen Aspekte dabei. Ein paar davon gibt es nämlich bestimmt. Wenn ich das schaffe, dann werden die für mich unangenehmen Aspekte solcher Events merkwürdigerweise viel erträglicher.
Ich entscheide mich heute für die dritte Möglichkeit. Sie scheint mir am wenigsten arbeitsintensiv zu sein. Das kann ich auch zwischendurch beim Autofahren machen.
Ich werde nach Thanksgiving berichten, wie es funktioniert hat. Bin selber gespannt.
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