Mittwoch, 9. Dezember 2015

Spieglein, Spieglein an der Wand . . .

Wenn mich etwas an anderen Menschen stört, stellt sich immer heraus, dass sie eigentlich nur Eigenschaften wiederspiegeln, die ich an mir selber nicht ausstehen kann.

So ist das auch bei meiner neuen Kollegin Jenny. Jenny ist eine liebe, etwas übergewichtige Frau, 62 Jahre alt und bringt viel Berufserfahrung mit. Als sie bei uns vor drei Monaten neu anfing, fühlte ich mich sofort von ihr genervt. Einerseits, weil ich mich von ihr bedroht fühlte. Nein, sie mutierte nicht, wenn es keiner sah, zu einem fleischfressenden Gremlin oder entwickelte andere unliebsame Eigenschaften. Aber es war schwierig für mich, Bereiche meiner Arbeitsaufgaben an sie abzugeben, obwohl ich eigentlich so viel zu tun hatte, dass ich verdammt froh hätte sein sollen, dass mir jemand etwas abnahm.

Als ich dann also über meine Eifersuchtsgefühle, Minderwertigkeitskomplexe und Existenzängste ein wenig hinwegkam, stellte sich leider heraus, dass sie mich immer noch nervte. Es waren nur Kleinigkeiten, die aber resultierten immer darin, dass ich ein wenig meine Contenance verlor. Sprich: Ich wurde zickig.

Und zickig sein, ist unter all den höflichen Amies mit denen ich zusammenarbeite ziemlich unangenehm. Ich falle dann immer so auf.

Da ich meine Zickigkeit nicht übertünchen konnte (ich kann meine Launen nur sehr schlecht überspielen), musste ich an meiner grundlegenden Einstellung arbeiten, um auch mein Verhalten ändern zu können. Und ich wollte mein Verhalten ändern! Denn ich hasse es, eine Zicke zu sein. Vielleicht hätte ich ja mit meinem miesepetrigen Verhalten nicht solche Probleme, wenn ich deswegen nicht immer gleich solche Schuldgefühle entwickeln würde.

Also muss ich mich schon mir selbst zuliebe immer wieder mal sehr scharf hinterfragen.

So auch mit Jenny.

Was stört mich also an ihr?

Ihr Opferverhalten
Jenny benutzt oft eine sehr hohe Stimme. Sie hört sich dann wie ein kleines Mädchen an. Und dann kicherte sie auch noch ständig dabei. Furchtbar. Das ist für mich das perfekte Opferverhalten. Ich könnte sofort reinschlagen.

Allerdings habe ich bei mir beobachtet, dass ich das auch mache, wenn ich unsicher bin. Vor unangebrachtem Gekicher bin ich auch nicht gefeit. Ein Verhalten, das mir jedes Mal peinlich ist, wenn ich mich dabei erwische. Aber leider kann ich es dann trotzdem nicht abstellen. (Aber ich hoffe, dass sich meine Opferstimme nicht in ganz solch amerikanische Höhen schraubt und mein Gekicher weniger offensichtlich ist - aber, wer weiß?)


Ihre Schusseligkeit
Jenny macht Fehler. Wer hätte das gedacht. Und manche ihrer Fehler sind echt dämlich. Reine Schusseligkeit. Einerseits geht mir das runter wie Öl, weil ich dann sehe, dass sie nicht perfekt ist, andererseits empört mich das, weil ich denke, dass sie das doch weiß Gott besser machen sollte. Schließlich verdient sie ja auch einiges mehr als ich.

Ich muss ja nicht betonen, dass ich auch Fehler mache. Ständig. Und wie blöd die manchmal sind, will ich hier gar nicht näher beleuchten. Mein Problem ist, dass ich schlecht mit meinen Fehlern leben kann. Jedes Mal, wenn mir so etwas passiert, also fast täglich, schäme ich mich in Grund und Boden. Und jeder Fehler bestätigt mein wenig schmeichelndes Selbstbild von mir. Für mich ist das dann der Beweis dafür, dass ich saudumm bin. Ich durchlebe dann Momente echter Selbstverachtung, die ich dann zwar schnell wieder wegschieben kann, aber da mir bald wieder ein Fehler passiert, fängt dann alles wieder von vorne an. Jenny spiegelt diese Meinung, die ich von mir habe, einfach nur wieder. Ich denke dann von ihr genauso, wie ich über mich denke.

Sie ist übergewichtig
Und last but not least: Jenny ist dick. Ich habe in diesem Blog ja schon einmal erzählt, dass ich als Ex-Dicke tatsächlich ein Problem mit dicken Menschen habe. Besonders mit Frauen, sofern sie nicht meine Freundinnen sind. Bei Freundinnen nehme ich so etwas überhaupt nicht wahr. (Allerdings nehme ich zu deren Enttäuschung auch nicht wahr, wenn sie mal was abgenommen haben.) Obwohl ich sehr gut weiß, warum Menschen dick werden, kann ich mir nicht helfen und verachte Jenny ein wenig für ihr Übergewicht.

Ich weiß, dass meine Gefühle und Gedanken zu diesem Thema noch Überbleibsel meiner eigenen dicken Zeit sind. Ich habe mich, solange ich denken kann, für meine mangelnde Selbstbeherrschung zutiefst verachtet und gehasst. Klar, dieser Selbsthass ist im Moment nicht allzu sehr aktiv, da ich meinem Essplan folge und normal aussehe. Aber ich spüre ihn ganz dicht unter der Oberfläche. Denn eigentlich verachte ich mich immer noch für meine dicke Vergangenheit.
Ich hätte noch zig weitere Beispiele, die immer wieder dasselbe zeigen: Wenn mich jemand nervt, spiegelt er nur etwas von mir selber wieder.

Und das beweist wieder einmal, dass der effektivste Weg, sich besser zu fühlen, darin liegt, sich selber zu verändern, statt darauf zu warten, dass sich die Mitmenschen ändern.

In diesem Fall half es mir schon sehr, als mir klar wurde, wie sehr Jenny mich wiederspiegelt. Ich würde viel lieber großzügig und tolerant anderen Menschen gegenüber sein. Und vor allen Dingen wäre ich gerne großzügig und tolerant mir selber gegenüber sein. Und natürlich würde ich gerne von mir selber denken, dass ich intelligent und kompetent bin.

Ich habe keine Ahnung, ob ich jemals an diesen Punkt gelangen werde. Aber ich habe bemerkt, dass ich Jenny gegenüber bereits weicher reagiere. Ich werde sie wahrscheinlich niemals lieben, dafür ist sie mir einfach zu ähnlich. Aber vielleicht werde ich ihr eben genau das einmal wirklich vergeben können. Dann wird es uns beiden bestimmt viel besser miteinander gehen.

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