Samstag, 30. Mai 2015

Manchmal übertreibe ich es ein wenig

Wenn ich mich über jemanden ärgere, dann heißt das, dass dieser jemand nur etwas von mir spiegelt, dem ich mich nicht stellen will. Um herauszufinden, was das sein könnte, mache ich meine Spiegelübungen. Allerdings treibe ich es damit manchmal auch zu weit.

Es ist doch manchmal zu lästig, wenn man seinen eigenen Weisheiten folgt.

Ich glaube ja, dass alles, was bei mir im Außen passiert nur eine Wiederspiegelung meiner Gedanken, Bewertungen und Glaubenssätze ist. Einfach alles. Das meiste, was mir also passiert oder begegnet, spiegelt mich selber wieder. Meistens ist das kein Problem, denn vieles, was mir passiert, finde ich weiter nicht so tragisch oder schlimm. Manches finde ich sogar richtig klasse.

Ich habe mir also zur Gewohnheit gemacht, alles, was mich ärgert oder sonst wie aufregt, zu hinterfragen. Ich frage mich, was könnte diese spezielle Angelegenheit mit mir selber zu tun haben? In der letzten Zeit habe ich öfter diese Spiegelübung machen müssen und Dinge an mir erkannt, von denen ich bis dahin noch gar nichts wusste.

Einige meiner Spiegelübungen hatten mit Andrew zu tun. Ich bin mit ihm ja nun seit einigen Jahren wieder zusammen. Und immer wieder mache ich mir Sorgen um ihn, weil er eher der melancholische Typ ist. Er hat oft existentielle Ängste und macht sich selber viel Druck und ich wünsche mir für ihn, dass er glücklich ist. Ich hatte immer den Eindruck, dass er das Leben, die guten Dinge, die er hat, nicht wirklich genießen kann. Aber ich machte mir nicht nur Sorgen. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann ärgerte ich mich auch oft über ihn deswegen. Ich fand z.B. dass er mich nicht genug wertschätzte. Schließlich haben wir eine echt nette Beziehung miteinander - sehr harmonisch und von Freiheiten geprägt. Ich fand, dass er darüber gefälligst glücklicher sein sollte.

Jetzt musste ich am letzten Wochenende gerade feststellen, dass ich anscheinend schon lange keine meiner Spiegelübungen gemacht habe.

Wir waren ein paar Tage campen auf einer wunderschönen Insel. An diesem Wochenende wurde ich Zeugin davon, wie sehr er jeden Moment in der Natur genießen konnte. Und dann erinnerte ich mich auch daran, dass er unseren Urlaub im letzten Jahr in Frankreich genauso genossen hatte - jede Sekunde, wie ein Kind. Und dann fielen mir noch lauter kleine Beispiele ein, die bewiesen, dass er sehr wohl in der Lage ist, das Leben zu genießen. Viel besser als ich. Und ich sah mich plötzlich wünschen, dass ich es wenigstens so gut könnte wie er.

Und was das Wertschätzen unserer Beziehung angeht: Auch hier hatte ich etwas auf ihn projiziert. Ich kann zwar theoretisch anerkennen, dass wir eine gute Beziehung haben, aber eigentlich fehlt mir dazu jegliches Gefühl. Irgendwie ist es für mich normal, so eine Beziehung zu haben. Schließlich habe ich, was das angeht, persönlich keine Vergleichswerte.

Also eigentlich bin ich diejenige, die nicht genug ihre Beziehung wertschätzt und echte Probleme beim Genießen von schönen Momenten hat. Nicht er. Ich hatte das nur auf ihn projiziert und somit hat er scheinbar mich wiedergespiegelt, da ich sein wirkliches Verhalten nicht hinter meiner Projektion wahrnehmen konnte.

Das war ein echter Aha-Moment.

Aber manchmal kann ich diese Spiegelübungen auch ein wenig übertreiben und mein Wunsch, allen Begebenheiten eine Bedeutung abzuringen, geht in magisches Denken über.

Ich habe eine Pflanze im Büro, einen Pfennigbaum (die heißen hier Jade Trees), den ich Trudy getauft habe. Er war winzig, als ich ihn vor fast drei Jahren bekommen hatte, als ich noch neu in der Firma war. Jetzt ist er schon größer und wann immer ich nach Berlin in den Urlaub gehe, muss sich eine meiner Kolleginnen um Trudy kümmern. D.h. sie muss die Pflanze jeden Freitag gießen. Also genau zwei Mal in zwei Wochen. Das war nie ein Problem.

Aber letztes Jahr kam ich im Frühjahr wieder aus dem Urlaub zurück und fand, dass Trudy krank aussah. Sie sah wirklich ziemlich merkwürdig aus. Erschrocken schaute ich sie mir von allen Seiten an und inspizierte jedes einzelne Blatt. Mir wurde heiß und kalt. Was konnte das nur bedeuten? Hieß dass, dass Trudy eine Seele hatte und mich vermisst hatte? Oder hieß das, dass ich bald meinen Job verlieren würde? Da ich das Erstere nicht glaubte, befürchtete ich die zweite Variante.

Mehrere Tage versuchte ich, solche Gedanken als übertrieben wegzuschieben, was mir aber nur schlecht gelang. Es ist immer blöd, sich vorzunehmen, an eine bestimmte Sache NICHT zu denken. Das klappt nie.

Etwa eine Woche später unterhielten sich meine Kollegin und ich über Trudy und es stellte sich heraus, dass meine Kollegin die Pflanze mit Selters begossen hatte. Ich habe keine Ahnung, ob das generell schädlich ist für Pflanzen aber Trudy hatte das definitiv nicht gemocht. Sie erholte sich nämlich innerhalb von drei Wochen wieder, nachdem sie von mir wieder nur normales Wasser bekam (oder war meine erste Vermutung doch richtig und Trudy war wieder glücklich, weil ich wieder zurück war?).

Ich möchte andere so akzeptieren, wie sie sind. Ohne, wenn und aber. Aber das schaffe ich nur, wenn ich unter anderem solche Übungen mache. Meine kleinen Abrutscher, wie es mir mit Trudy passiert ist, nehme ich dabei gerne in Kauf.

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