Was haben Kitschromane mit einer modernen Beziehung zu tun?
Ich habe als Teenager Kitschromane geliebt. Nicht die billigen Groschenromane natürlich (schließlich ging ich ja aufs Gymnasium), sondern echte Bücher. Ich konsumierte alles, was mir eine Liebesgeschichte mit Happy End versprach: Romantic Thriller, historische Romane, sogar Science Fiction war nur interessant für mich, wenn eine deftige Liebesgeschichte im Mittelpunkt stand.
Mit 19 verliebte ich mich in Andrew, einen amerikanischen Soldaten und mein erster Freund. Wir zogen zusammen und verbrachten eine tolle Zeit miteinander. Ich fand alle meine Erwartungen in die Liebe bestätigt. Es war Romantik pur. Nach eineinhalb Jahren musste er aber wieder zurück in die USA und ich musste mit meinem Liebeskummer alleine zurechtkommen.
Ich ging zur Uni und ich lernte alles über die mangelnde Emanzipation der Frau. Ich interessierte mich für Kultur- und Religionsgeschichte und war dann selber Suchende nach einer neuen Religion für mich. Ich fand, dass der Katholizismus den Frauen (allerdings auch den Armen, Homosexuellen, Unverheirateten, unehelich geborenen, usw.) bei weitem nicht gerecht wurde. Ich wurde mir bewusst, dass dies eine von Männern dominierte Welt war und was ich dagegen tun konnte.
Als erstes beschloss ich, dass mein Gott fortan weiblich war. Dann genderte ich meinen Sprachgebrauch und regte mich mit anderen Kommilitoninnen stundenlang darüber auf, wie unemanzipiert andere Frauen seien oder was für Machos doch die Männer waren.
21 Jahre nachdem er Berlin verlassen hatte, traf ich Andrew wieder. Wir verliebten uns ineinander und heirateten drei Jahre später. Ich zog zu ihm in die USA.
Meine größte Sorge war, dass ich als verköcherte alte Jungfer nicht mehr fähig sein könnte, mich auf den Lebensstil eines anderen Menschen einzulassen.
Als ich zu ihm zog, war meine größte Sorge, ob ich überhaupt noch sozial kompatibel für eine Beziehung war. Ich hatte die letzten 21 Jahre, seit seinem Auszug, immer alleine gelebt. Zwar hatte ich durchaus mal eine Beziehung gehabt, aber wir waren nie zusammengezogen.
Ich befürchtete also, dass unsere Ehe an meiner Niggeligkeit Kleinigkeiten gegenüber scheitern würde. Schließlich weiß man ja, wie verschroben frau angeblich wird, nur weil sie immer alleine gelebt hat. Würde ich es ertragen können, wie er die Wäsche faltet, das Bad putzt, sich am Haushalt beteiligt, sich die Zähne putzt, etc.? Ich wusste, dass er damit keine Probleme haben würde, schließlich war er schon einmal verheiratet gewesen und hatte drei Kinder großgezogen.
Zu meiner Überraschung war dieser Alltag überhaupt kein Problem für uns. Sicher, wir mussten uns aneinander gewöhnen, aber das klappte ganz gut.
Alles lief also ziemlich reibungslos zwischen uns ab. Aber warum ging es mir in den ersten Monaten meiner Ehe trotzdem so schlecht?
Etwas vollkommen anderes bereitete mir ziemlich große Schwierigkeiten: Erwartungen, die mir Kitschromane und Hollywoodfilme eingeimpft hatten. Erwartungen, von denen ich bis dahin nicht den blassesten Schimmer hatte, und die mich eineinhalb Jahre kosteten, bis ich sie aufgespürt und ausgemerzt hatte. Niemals hätte ich so etwas bei einer erwachsenen und emanzipierten und gebildeten Frau wie mir erwartet!
Es kostete mich fast eineinhalb Jahre, das herauszufinden. Ich musste feststellen, dass ich doch mehr von all den Kitschromanen und -filmen geprägt war, als ich es mir je hätte vorstellen können.
Oder wer sonst hat mir etwa eingetrichtert, dass ein Paar in einer funktionierenden Beziehung immer gemeinsam zu Bett gehen muss? Ich war im ersten Jahr nicht nur fest davon überzeugt, dass das so sein musste, sondern bemerkte noch nicht einmal, dass ich diese Überzeugung hatte. Also legte ich mich mit ihm gemeinsam so um 21:30 Uhr ins Bett und langweilt mich noch Stunden zu Tode bevor ich endlich einschlief. Denn ich war mein Leben lang gewohnt, nicht vor Mitternacht ins Bett zu gehen. Ich brauche nur sechs bis sieben Stunden Schlaf, er braucht acht bis neun. Ich wurde im Laufe der Zeit immer wütender auf ihn, obwohl er gar nichts dafür konnte. Ihm war es vollkommen schnurz, wann ich schlafen ging.
Irgendwann wurde mir klar, was ich da machte und begann, alleine aufzubleiben, nachdem er sich zurückzog. Es hat noch etliche Wochen gebraucht, bis ich mich deswegen nicht mehr unwohl fühlte und Monate, bis ich die zwei Stunden am Abend ganz alleine für mich zu genießen lernte. Heute will ich sie auf keinen Fall mehr missen.
Und wer hat mir eigentlich beigebracht, dass ein Mann, der mich liebt, mich jedes Mal küssen oder irgendwie anders seine Zuneigung zeigen muss, wenn er an mir vorbei geht?
In dem kleinen Haus, in dem wir leben, geht man oft aneinander vorbei. Aber ich war am Anfang wirklich davon überzeugt, dass er mich nicht mehr liebte, weil er mir nicht jedes Mal mit liebevollen Gesten seine Zuneigung zeigte, sobald er meiner ansichtig wurde.
Ich hätte noch ein paar mehr von solchen Beispielen, spare sie mir aber, weil diese beiden alleine schon peinlich genug sind.
Das phänomenale war für mich, dass ich so lange brauchte, bis ich die ursächlichen Gedanken und Erwartungen aufspüren konnte, die für meine traurigen und manchmal schon verzweifelten Gefühle verantwortlich waren. Und noch erstaunlicher war, wie lange ich dafür brauchte, von diesen Vorstellungen loszulassen.
Und ich weiß, dass mir meine Mutter nichts über das gemeinsame schlafen gehen oder das konstante Zeigen von Liebesbeweisen beigebracht hat. Auch keine meiner Freundinnen haben so eine Beziehung jemals gelebt oder gar propagiert.
Was sich hier bemerkbar gemacht hatte, war eine undendliche Phalanx von Liebesschnulzen, egal in welcher Form, die mir jetzt in den Hintern bissen.
Ich hatte mir unterbewusst ein Bild von einer guten Beziehung zusammengeschustert, das vollkommen unberührt von jeglicher Bildung, Erfahrung und gesundem Menschenverstand blieb.
Gott sei Dank ist Andrew so geduldig mit mir geblieben, obwohl es am Anfang echt nicht leicht für ihn gewesen sein kann.
Ich liebe immer noch Liebesschnulzen. Ich habe sogar vor, eine zu schreiben. Ich will nicht auf dieses Vergnügen verzichten und denke mir, jetzt ist es eh zu spät für mich, damit aufzuhören. Sie haben mich ja wahrscheinlich schon in jungen Jahren verdorben. Warum sollte ich jetzt damit aufhören?
Ich muss darauf vertrauen, dass mich auch in Zukunft mein gesunder Menschenverstand und meine Fähigkeit, mich selber zu hinterfragen, retten wird.
Hast du dich auch schon mal dabei erwischt, wie dich alte Klischees plötzlich beutelten?
Sehr hübsch geschrieben :)
AntwortenLöschenNur, dass er am Tag deiner Einwanderung... Naja, du weißt schon... Das fand ich schon skandalös unromantisch...
... und seien wir ehrlich, kämen diese Liebesbezeugungen IMMER, bei jedem Kontakt ... wir würden uns vereinnahmt fühlen. Und noch schlimmer: würden diese Liebesbezeugungen immer von uns eingefordert werden ... Oh Grausen! Gut zusammenleben braucht halt auch immer ne ordentliche Portion Realitäts-Check und das Vertrauen in Beständigkeit - neben dem perfekten Mann, versteht sich :-)
AntwortenLöschenIch glaube, das ist genau das richtige Stichwort hier: Vertrauen in Bestaendigkeit. Wann immer ich mich so merkwuerdig verhalte, liegt dem Angst zugrunde.
LöschenEs ist dann ganz schoen schwierig da raus zu kommen und sich dann bewusst fuer Vertrauen zu entscheiden. Aber es ist moeglich.