Samstag, 2. Januar 2016

Bewerben auf Amerikanisch

Irgendwie macht es mir Amerika leichter, mich auf Stellen zu bewerben. Hier habe ich den Eindruck, dass meine Berufserfahrung sehr wertgeschätzt wird - und das hebt doch sehr mein Selbstbewusstsein.

Ich habe es immer gehasst, mich auf Stellen zu bewerben. Das war manchmal sogar einer der Gründe dafür, dass ich in Stellen aushielt, in denen ich eigentlich unglücklich war. Immer wenn ich mich bewerben musste, sah ich mich mit meinen mangelnden Qualifikationen konfrontiert. Ich war ja nicht das geworden, was meine Mutter (und viele Jahre auch ich) für mich erträumt hatte. Ich sollte eine hochdotierte Akademikerin werden und viel Geld machen.

Da das bei mir nicht hingehauen hatte, nahm ich jedes Mal, wenn ich mich auf Stellen bewarb, das zum Anlass, mich mal wieder so richtig zu schämen. Ich machte mich klein und fand einfach alles lächerlich und unwesentlich, was ich bisher an Erfahrung und Ausbildung anzubieten hatte. Es ist ein Wunder, dass ich mit dieser Einstellung trotzdem immer einen Job gefunden habe. Ich schreibe das einem anderen tiefsitzenden Glaubenssatz von mir zu: Ich bin nämlich immer sicher, dass ich einen Job finden werde. Dieser Glaubenssatz hat nichts mit meinen Qualifikationen zu tun sondern ist ganz einfach immer da. Und so war es bis jetzt ja auch - sogar als ich in die USA zog.

Jetzt schreibe ich also wieder Bewerbungen - zum zweiten Mal in Amerika. Und was soll ich sagen, zum ersten Mal in meinem Leben finde ich, dass dies keine unangenehme Erfahrung ist.

Als die Firma, für die ich arbeite, vor ein paar Wochen alle Gehälter gekürzt hatte und es klar wurde, dass sie vielleicht nicht mehr den Januar überstehen würde, hat mich das erst doch für zwei bis drei Tage ziemlich niedergeschlagen. Zwar kam der Geldmangel nicht unerwartet, schließlich arbeite ich in der Finanzabteilung, aber ich hatte immer die Hoffnung, dass wir es doch noch schaffen würden. Zwar ist die Hoffnung immer noch da, aber trotzdem ist die Möglichkeit, dass wir alle unsere Jobs verlieren könnten sehr viel realer geworden.

Also war ich erst einmal wie gelähmt und gruselte mich davor, mich wieder meinem blöden Lebenslauf stellen zu müssen.

Aber als ich eine Stelle sah, die mich interessierte, beschloss ich mich darauf und auch noch auf andere zu bewerben. Alles war besser, als tatenlos der eigenen Hilflosigkeit zuzuschauen. Ich wusste, dass ich mich wahrscheinlich schon alleine deswegen besser fühlen würde, wenn ich anfing, etwas zu unternehmen.

Und ein Wunder geschah! Nach anfänglichen Schwierigkeiten stellte ich fest, dass es gar nicht so unangenehm war, genau hinzugucken, was ich eigentlich alles kann. Es kamen nicht im Geringsten irgendwelche Gefühle und Gedanken der Minderwertigkeit auf. Alles, was ich spürte, war Neugierde und eine eher freudige Spannung.

Damit ist für mich bewiesen, dass die Hilfestellung meiner Freundin (siehe Post: "Ballast abwerfen") funktioniert hat. Ich bin dieses uralte Gepäck von Minderwertigkeitsgefühlen los, die mit den nicht erfüllten Träumen meiner Familie verbunden waren. Juhuuuuuuuu!!!!!

Ich bewarb mich auf drei vollkommen unterschiedliche Stellen und eine davon existiert noch nicht einmal. Ich habe nämlich eine Firma entdeckt, die sowohl hier in Maine als auch in Deutschland operiert und habe mir überlegt, dass sie vielleicht eine deutsche Muttersprachlerin in den USA gebrauchen könnten. In meinem Anschreiben kreiere ich sozusagen die Stelle, von der die betroffene Firma noch gar nicht weiß, dass sie sie gebrauchen könnte. Ich weiß, dass das für andere nicht unüblich ist, aber für mich ist das ein großer Durchbruch.

In allen drei Bewerbungen gebe ich wie zehn nackte Neger an (zumindest für meine Verhältnisse). Meine amerikanische Freundin findet allerdings immer noch, dass ich viel zu sehr mit meinen Fähigkeiten und Kenntnissen hinter dem Berg halte.  Es macht Spaß, sich so ein "angeberisches" Endprodukt durchzulesen. Denn nichts, was ich schreibe, ist gelogen. Es ist nur in einer Weise so positiv dargestellt, wie ich es im normalen Leben niemals tun würde.

Aber wie kommt es, dass sich meine Einstellung zum Bewerbungsprozess geändert hat?

Einerseits glaube ich, dass mir meine Freundin Laura (www.lauraghedina.com ) geholfen hat, als sie mir eine Aufstellungssitzung zu diesem Thema gab. Andererseits schreibe ich es dem amerikanischen Spirit zu. Es wird hier nicht ganz so sklavisch auf irgendwelche Scheine und Zertifikate geguckt. Natürlich braucht man hier auch Abschlüsse, ganz besonders in bestimmten Berufssparten (z.B. Ingenieure). Aber ich mache immer wieder die Erfahrung, dass hier Menschen etwas ganz anderes arbeiten, als sie eigentlich mal studiert hatten. Oder sie haben gar nichts studiert und werden trotzdem Geschäftsführer. Ich kenn z.B. eine hochdotierte Finanzberaterin, die eigentlich mal als Pharmazeutin angefangen hatte. Dann kenn ich auch eine Lehrerin, die jetzt als erfolgreicher Gesundheits-Coach arbeitet.

Hier scheint beruflich so viel mehr möglich zu sein. Ich bin richtig neugierig darauf, was sich auf dem beruflichen Gebiet für mich noch ergeben wird.

3 Kommentare:

  1. Ich drücke Dir die Daumen, dass sich eine neue, tolle Chance für Dich auftut.

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    1. Vielen Dank. Vor allen Dingen heißt es für mich, meinen Optimismus zu erhalten.

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  2. Und jetzt möchte ich echt zu gerne wissen welche Stelle es geworden ist - oder doch gar nicht gewechselt wurde

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