Montag, 2. November 2015

Reisen mit meinem Amerikaner

Andrew und ich verstehen uns großartig im Urlaub. Wir scheinen immer die gleichen Bedürfnisse nach Sightseeing oder Erholung zu haben. Aber trotzdem ist so ein Urlaub für mich auch immer eine Herausforderung, weil ich dann merkwürdige Eigenheiten bei ihm wahrnehme, die meine Toleranz auf eine harte Probe stellen. Manchmal haben sie etwas mit den Unterschieden zwischen unseren Kulturen zu tun, aber meistens sind es einfach nur kleine Macken.

Ich will nicht wie ein Amie aussehen
Erst einmal überraschte er mich in der Woche vor unserer Reise mit dem Satz "Ich will in Spanien nicht wie ein Amerikaner aussehen." Ich guckte ihn groß an. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das aussehen sollte. Außerhalb der Arbeit trägt er immer ausgebeulte weite Shorts, Red Sox T-Shirts, Turnschuhe und Baseball Käppi. Er sieht wie der typische Amie aus. Wann immer ich ihn früher darauf aufmerksam gemacht hatte, dass europäische Männer engere Hosen und Shirts tragen, fand er, dass das schwul aussehen würde. Er findet auch die Badehosen europäischer Männer schwul. Nur die riesigen, schlabbrigen, knielangen Shorts, die Mann hier zum Baden trägt, erscheinen ihm als angemessen. Also wurde aus seinem Vorsatz schon mal nichts. Er brachte nach Spanien genau dieselben Klamotten mit, die er auch zu Hause trägt.

Schilderwald
Am dritten Tag unserer Reise beklagte sich Andrew darüber, warum man die Schilder in Spanien nicht auch auf Englisch aufstellen würde. Das würde doch das Leben der Touristen so viel einfacher machen. Als ich ihm sagte, dass aber vielleicht nicht alle Touristen englischsprachig seien, es gäbe ja schließlich auch noch andere Nationalitäten, die gerne reisen würden, fand er, dass das ein doofes Argument sei. Schließlich spreche doch jeder in Europa Englisch.

Warum sprechen nur alle Englisch mit mir?
Andererseits gefiel es ihm überhaupt nicht, dass jeder, der ihn sah, in Englisch ansprach. "Woher wissen die eigentlich, welche Sprache ich spreche?" fragte er mich? Ich blickte nur vielsagend auf seine riesigen Khakishorts aber ich glaube, diesen Wink mit dem Zaunpfahl hat er nicht verstanden. Denn wann immer ihn wieder ein Ladenbesitzer, Verkäufer oder Kellner auf Englisch ansprach, stellte er mir dieselbe Frage. Nach drei Tagen, weigerte ich mich, darauf zu reagieren.

Was, das soll ein Kaffee sein?
Wann immer wir in Spanien einen Kaffee bestellten, war er exzellent, aber er wurde in einer winzigen Tasse serviert. Andrew war empört. Schließlich ist er ja die Venti-Pappbecher von Starbucks gewöhnt, wo man einen halben Liter ausgeschenkt bekommt. Mit den spanischen Kaffetassen bekomme man gerade mal genug, um sich die Zunge anzufeuchten, meinte er. Ich musste ihm insgeheim recht geben, aber nach außen hin spielte ich natürlich ganz die gebildete Weltreisende, für die andere Länder mit ihren Sitten etwas ganz normales sind.

Kampf mit Schlössern
Jeden Morgen und Abend richtete ich es so ein, dass Andrew mit dem Schlüssel unsere Zimmertür auf- oder zuschließen musste. In Amerika öffnet und schließt man die Türen, meiner Ansicht nach, verkehrt herum. Wenn ich dort eine Tür öffnen will, muss ich den Knauf oder Schlüssel Richtung Türrahmen drehen. Etwas, was ich heute immer noch falsch mache, besonders wenn ich es eilig habe. In Spanien beobachtete ich, wie Andrew den umgekehrten Fehler machte und immer wieder mit der Tür am kämpfen war. Man kann sich gar nicht vorstellen, was für eine Befriedigung es mir verschaffte, zu sehen, dass ich nicht die einzige bin, die Schwierigkeiten mit Türen hat.

Klopf, klopf
Andrew hatte die entnervende Angewohnheit, an allen möglichen Türen zu klopfen, an denen wir vorbei kamen. Manchmal klopfte er auch auf Holzbalken. Besonders fragwürdig fand ich sein Verhalten allerdings in den Museen und Kulturstätten, die wir besuchten. Überall standen Schilder, die jegliches Berühren der jahrhundertealten Gegenstände verbot, aber Andrew klopfte trotzdem. Ich schämte mich, dass mich das so störte, denn schließlich habe ich es auch gerne, wenn er meinen Macken gegenüber tolerant ist. Aber als er wieder an eine vierhundert Jahre alten, reich geschnitzten Holztür in der Alhambra in Granada klopfte, verbot ich ihm das mit sofortiger Wirkung. Er guckte mich groß an und es stellte sich heraus, dass ihm dieser Tick gar nicht bewusst gewesen war. In den darauffolgenden Tagen mussten wir allerdings feststellen, dass er seinen Klopfzwang kaum unterdrücken konnte. Ich musste mit den Klopfgeräuschen weiter leben und hoffte bloß, dass nicht irgendwann einmal die Polizei einschreiten würde.

Grüß Gott
In Maine grüßt man sich. Andauernd grüßen sich wildfremde Menschen auf der Straße, in den Läden und im Cafe. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig für mich, da ich als Berlinerin gewohnt bin, fremde Menschen um mich herum zu ignorieren, selbst wenn ich ihnen gerade auf die Füße trete.
Was macht also mein Amerikaner? Er grüßt ständig fremde Leute auf der Straße in Spanien. Es scheint ihn gar nicht zu stören, dass niemand auf sein laut gerufenes "Hey, how are you doing?" reagiert. Selbst während wir im Auto sitzen und mit geöffnetem Fenster an Passanten vorbeifahren, die am Straßenrand darauf warten, dass sie die Straße überqueren können, ruft er ein kräftiges "Hey!".
Ich fühlte mich als wenn ich mit Krokodile Dundee unterwegs war.

Der unhöfliche Zeigefinger
"Look" ruft mein liebster Amie und streckt dabei in ausholender Bewegung seinen Arm und Zeigefinger vor meinem Gesicht aus. Blöd ist, dass es in einem fremden Land viel zu "looken" gibt. Dabei ist es ihm egal, worauf oder auf wen er mit seinem Arm und Finger gerade zeigt. Jedes Mal, wenn er wieder mit seinem Arm wedelt, weil ich ihm nicht schnell genug "looke", bin ich peinlich berührt. Warum kann der Mann nicht Worte benutzen, um meinen Blick zu lenken? Sein Finger zeigt für mich ja sowieso nie genau auf das, worauf er mich aufmerksam machen will.
Ich musste feststellen, dass ich auch hier meine hart erarbeitete Toleranz verlor und darum bat, dass er nicht mehr mit dem Finger auf alles zeigt. Und wieder stellte sich heraus, dass er über diese Angewohnheit keine Kontrolle hatte.

Aber Alles in Allem war es der perfekte Urlaub.

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