Freitag, 19. Juni 2015

Hör auf zu jammern und fange mit dem Leben an

Mich über Umstände zu beklagen, manchmal sogar jahrelang, hat mich noch nie auch nur einen Zentimeter einer Lösung meines Problems näher gebracht. Erst wenn ich mir bewusst mache, was ich eigentlich genau in der Situation brauche und dann nach machbaren Wegen suche, mir meine Bedürfnisse zu erfüllen, kann ich meine Lebenssituation verändern.

Vor ein paar Jahren hatte ich einen Job, in dem ich mich überhaupt nicht wohlfühlte. Mein Chef war ein Choleriker, eine meiner Kolleginnen war ziemlich schwierig und ich schien es einfach nie jemandem recht machen zu können. Vor meinen Freunden habe ich versucht, nicht zu viel von meinem Unglück zu sprechen. Ich wusste ja, dass ich dann nur ins Jammern verfallen würde. Jammern ist ein sich ständiges Beklagen darüber, dass die Welt, die Umstände, das Leben oder die Menschen nicht so sind, wie ich sie gerne hätte. Ich versuchte also meine Gefühle für mich zu behalten, aber das hinderte mich natürlich trotzdem nicht daran zu jammern. Das kann ich auch sehr gut ohne Publikum. Jeden Tag ging ich mit Bauchschmerzen ins Büro, war ständig den Tränen nahe, weil mein Chef so schlecht zu mir war und ging erledigt nach Hause, weil der Tag so anstrengend war.

Nun wusste ich ja, dass sich die Dinge nie ändern, solange ich darüber jammere. Jammern heißt bei mir, dass ich mich den Umständen hilflos ausgeliefert fühle und  mir selber ganz schrecklich leid tue. Ich sehe mich als Opfer. Jammern saugt die letzte Kraft aus mir heraus und auch aus meinen Freundschaften - entweder weil ich dann manchmal doch laut jammere und alle damit nerve oder ich distanziere mich von ihnen, weil ich meine Gefühle und Gedanken für mich behalte.

Als ich Übungsgruppen in der Gewaltfreien Kommunikation angeleitet hatte, fingen die Menschen auch oft zu jammern an, sobald ich mit ihnen an einem ihrer Probleme arbeitete. Ich wusste erst nicht, wie ich damit umgehen sollte. Schließlich wollte ich ja einfühlsam auf sie eingehen. Aber leider war es auch so, dass sobald ein Gruppenteilnehmer erst mal mit dem Jammern und Klagen anfing, er oder sie nicht mehr damit aufhören konnte. Das Problem wurde sogar immer größer und die Betreffende fühlte sich immer schlechter je länger sie klagte.

Zum Glück hatte ich dann mal Marshall Rosenberg selber sagen hören, dass Jammern noch nie etwas Konstruktives gebracht hätte. Im Gegenteil, es sei sogar ein phantastischer Weg, alles nur noch schlimmer zu machen. Er hielt es für wichtig, den Jammernden so schnell wie möglich aus seiner Jammerschleife herauszuholen. Das würde erst einmal den Coach vor unendlicher Langeweile schützen aber auch den Menschen, der so jammert, erlösen. Denn wer jammert, sucht verzweifelt nach einer Lösung aber weiß nicht, wie diese zu finden ist. Je schneller der Coach ihm dabei helfen kann, eine Lösung zu finden, desto dankbarer wird der Hilfesuchende sein. Aber dafür muss erst einmal das Jammern und Klagen aufhören.

Ich hatte mich dann bei meinem ungeliebten Job irgendwann dazu entschieden, endlich mit dem Jammern aufzuhören. Ich wollte nicht mehr leiden. Jeder jammervolle Gedanke schien meine hilflose Opferposition nur zu bestätigen, statt mich zu erleichtern. Dabei sehnte ich mir nichts so sehr, wie eben gerade das: Erleichterung, Leichtigkeit, Freude, Gelassenheit.

Also erinnerte ich mich an das, was Marshall Rosenberg gesagt hatte und was ich jahrelang anderen in meinen Übungsgruppen vermittelt hatte: Hör auf zu jammern und fange mit dem Leben an.

Ich wandte dann ganz klassisch die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) auf mich an. Ich identifizierte meine Gefühle und Gedanken und die unbefriedigten Bedürfnisse, die dahinter steckten. Ich stellte fest, dass ich mehr Respekt von meinem Chef haben wollte und beschloss, ihm einfach mehr Kontra zu geben. Ich weiß nicht ob er mich dadurch mehr respektierte, aber ICH respektierte mich ab dem Moment mehr, ab dem ich mich nicht mehr ständig vor ihm wegduckte. Das trug enorm dazu bei, dass ich mich in der Abteilung besser fühlte. Nach kurzer Zeit machten mir seine cholerischen Attacken gar nichts mehr aus.

Und ich akzeptierte, dass mein Bedürfnis nach Sicherheit auf dieser Stelle befriedigt wurde. Ich war dort praktisch unkündbar. Also, statt mich ständig über meine Kollegen zu beklagen, nahm ich jeden Tag bewusst die Vorteile dieses Jobs wahr: das gute Gehalt, sehr viel Urlaub und eben die Sicherheit. Aufgrund meines starken Sicherheitsbedürfnisses entschied ich mich eigentlich jeden Tag dazu, nicht zu kündigen.

Meine ganze Haltung änderte sich dadurch. Ich liebte diese Stelle zwar immer noch nicht, aber ich war im Frieden mit ihr.

Und dann wurde ich überraschenderweise in eine andere Abteilung befördert, die einfach spitze war.

Das kann Zufall gewesen sein, aber ich glaube, dass meine veränderte Einstellung auch etwas damit zu tun hatte.

Wenn ich heute wieder einmal ins Jammern verfalle, setze ich mich besser schnell auf meine vier Buchstaben und finde heraus, was ich wirklich brauche. Ansonsten wird sich nämlich gar nichts ändern. Denn Jammern ändert nichts sondern hält mich nur genau da fest, wo ich eigentlich nicht sein will.

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