Donnerstag, 4. Juni 2015

Der Ruf nach Höherem

Solange ich denken kann, habe ich mich beruflich zu etwas Höherem berufen gefühlt aber diese innere Sehnsucht nie erfüllen können. Jetzt söhne ich mich langsam damit aus. Statt darunter zu leiden, dass ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden bin, sehe ich, was mir dieser unerfüllte Ehrgeiz für Vorteile eingebracht hat.

Ich bin ja ständig auf der Suche nach DER Geschäftsidee, die mich reich machen könnte. Ich habe immer wieder Ideen, aber reich bin ich immer noch nicht. Entweder sind die Ideen nicht so gut, oder ich setze diese Ideen nicht um, oder ich setze sie zwar um aber mache keine Reklame dafür (das ist z.B. mit meinen Büchern der Fall).

An diesem Wochenende hatte ich mal wieder eine neue Idee. Wie wäre es, wenn ich mich als beste Freundin stundenweise vermieten würde? An diesem Wochenende hatte ich zwei Gespräche mit Freundinnen. Beide waren mir danach zutiefst dankbar, weil sie das Gefühl hatten, dass sie mit meiner Hilfe ein Stück weiter gekommen waren. Hach, ist das toll, wenn es mir gelingt in solchen Momenten ganz wach und aufmerksam für die Schwingungen meines Gegenübers zu sein. Wäre es nicht noch toller, wenn ich so etwas verkaufen könnte?

Ich weiß, DAS ist eine blöde Idee. Aber wieso, frage ich mich, bin ich immer auf der Suche nach DER Idee, die mir Erfolg und Reichtum schenken könnte? Ich war schon immer so aber es scheint nicht jeder so eine Sehnsucht zu haben. Ich habe Freundinnen, die absolut zufrieden mit ihrem beruflichen Werdegang sind.

Habe ich das vielleicht von meinem Vater? Ich erinnere mich, dass er immer wieder die Geschichte erzählte, dass man mit einer ganz simplen Idee reich werden könnte, wenn es denn eben die richtige Idee ist. Er war auch ständig auf der Suche nach so einer Idee. Als Beispiel nahm er immer die Büroklammer dafür. Er meinte, dass der Erfinder der Büroklammer doch Multimillionär geworden sein muss, so viel, wie dieses kleine praktische Ding benutzt wird.

Oder habe ich das von meiner Mutter? Meine Mutter glaubte immer daran, dass ich etwas ganz Besonderes sei. Sie war überzeugt davon, dass ich intelligent und künstlerisch begabt sei und die höchsten Höhen der Karriereleiter erklimmen könne. Leider habe ich ihr darin einen Strich durch die Rechnung gemacht. Leider konnte ich die ersten vier Jahrzehnte ihre hohe Meinung von mir überhaupt nicht teilen. Ich war nämlich davon überzeugt, dass ich dumm wie Stulle war und hässlich noch dazu. Also traute ich mir auch nichts zu und habe jetzt keine großartige Karriere vorzuweisen.

Aber trotzdem will ich immer noch hoch hinaus.

Ich finde das jetzt auch nicht mehr weiter schlimm, solange ich mich nicht schlecht dabei fühle. Auch wenn ich vielleicht keine große Künstlerin, Politikerin oder berühmte Ärztin geworden bin, hat mir mein merkwürdiger Ehrgeiz etwas ganz anderes geschenkt: Spannung, Spaß und die Erweiterung meines intellektuellen Horizonts. So habe ich mir z.B. das Designen von Webseiten selber beigebracht und Jahre lang, statt abends Fernsehen zu gucken, Webseiten gebaut. Das war toll. Ich habe sogar etwas Geld damit verdient. Ich habe auch etliche Jahre fleißig den orientalischen Tanz studiert, mit dem Ziel, die erste dicke Bauchtänzerin Berlins zu werden und Kurse nur für übergewichtige Frauen anzubieten. Das hat auch Spaß gemacht, bis ich mich der Tatsache stellen musste, dass ich nicht genug Selbstbewusstsein und -vertrauen hatte, um solche Kurse anzubieten zu können. Aber ich hatte schon meine Flyer entworfen.

Mein Leben lang wollte ich, dass diese Sehnsucht nach einer phantastischen Karriere verschwindet und ich endlich meinen Frieden mit dem machen kann, was ich karriereweise erreicht habe. Schließich bin ich ja nicht in der Gosse gelandet, oder so. Ich habe eben einen ganz gewöhnlichen und durchschnittlichen Berufsweg eingeschlagen.

Ich bin jetzt dabei, mich mit dieser Charaktereigenschaft von mir auszusöhnen. Sie scheint ein immanenter Teil von mir zu sein, der mir, obwohl ich nicht zu Ruhm und Reichtum damit gekommen bin, ungeheuer viel Freude und Erfüllung bereitet hat. Dank dieses inneren Strebens nach Mehr habe ich nie Langeweile.

Bin gespannt, was als nächstes kommen wird.

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