Dienstag, 2. Februar 2016

Übertreiben auf Amerikanisch

Amerikaner haben so ihre Eigenart auf bestimmte Nachrichten zu reagieren, genau wie wir Deutsche.

Vor zwei Wochen haben wir in unserer Firma die Nachricht erhalten, dass man noch genug Geld hat, um bis April weitermachen zu können. Bis dahin hieß es, dass sie uns nur bis Ende Januar Gehalt zahlen könnten. Im März werden wir dann wahrscheinlich wissen, was dann endgültig mit der Firma passieren wird.

Natürlich fragen mich meine amerikanischen Freundinnen hier andauernd, ob sich irgendetwas Neues mit meiner Firma ergeben hat. Seit zwei Wochen kann ich darauf antworten, dass ich meinen Job bis April behalten werde. Und jede von ihnen reagierte in etwa auf dieselbe Art: Mit lauten schrillen "Oh, that's wonderful! I am soooooo happy for you. Congratulations!!!!!!"

Jedes Mal guckte ich ein wenig dumm aus der Wäsche. Wonderful? Was bitte, ist daran wonderful, wenn ich nicht weiß, ob ich im Mai arbeitslos sein werde oder nicht? Ich habe mich ja schon sehr an die amerikanische Art gewöhnt, alles einfach großartig, phantastisch, und toll zu finden. Aber in diesem Fall musste ich mir mehrmals auf die Zunge beißen und nickte einfach nur freundlich.

Nicht so heute Morgen. Als eine Freundin anrief und genauso wie die anderen reagierte, antwortete ich mit einem trockenen "Naja, du reagierst ja so als wenn ich gerade im Lotto gewonnen hätte. Ich rede hier davon, dass ich meinen Job drei Monate länger haben werde. Ist das wirklich so eine gute Nachricht?"

Meine Freundin verschluckte sich und ruderte sofort zurück. Die hochgeschraubte Stimme schraubte sich sofort zu normalen Tiefen runter und sie entschuldigte sich. Dann machte sie eine kurze Pause und sagte dann ein wenig erschüttert "Du hast recht! Natürlich ist das keine großartige Nachricht. Ich weiß gar nicht, warum ich so reagiert habe."

So ist das eben mit den Default-Verhaltensweisen. Die Amies, besonders die Frauen, reagieren eben auf jede Nachricht, sollte sie auch nur ein klein bisschen positiv sein, mit extatischem Gekreische (ich übertreibe hier ein wenig - ein ganz klein wenig) und ausufernd positiven Adjektiven.

Anfänglich hatte ich die Reaktionen auf meine Jobsituation eigentlich gar nicht dem amerikanischen Hang zu positiven Übertreibungen zugeschrieben. Ich dachte halt, dass diese armen Amerikaner eben so ein hartes und unsicheres Arbeitsleben gewohnt sind, dass die Nachricht, einen Job für drei Monate zu haben, eben schon eine gute Nachricht für sie darstellt.

Bis ich dann ein wenig länger darüber nachdachte und mir auffiel, dass ich hier eigentlich nur Leute kenne, die langfristige Jobs haben. Alle arbeiten seit Jahren, manche seit Jahrzehnten, in derselben Firma oder Institution. Manche haben befristete Verträge, so wie Andrew, der sich alle zwei Jahre eine neue Stelle suchen muss, aber kaum einer von ihnen bangt um ihren/seinen Job, wo wie ich.

Ansonsten stimmt das Bild, das ich früher vom amerikanischen Arbeitsmarkt hatte, überhaupt nicht mit der von mir hier erlebten Realität überein. Zwar kann hier jeder jederzeit fristlos gekündigt werden aber diese hire-and-fire-Politik wird nur außerordentlich selten umgesetzt. Eigentlich tun die Firmen sogar so einiges, ihre Mitarbeiter zu halten.

Als mir das klar geworden war, hatte ich auch den Mut, die Reaktion meiner Freundin in Frage zu stellen. Und es stellte sich heraus, dass das Gejuchze als Reaktion auf meine Nachricht wahrscheinlich wirklich nur eine Default-Reaktion war.

Und was war die Default-Reaktion von meinen deutschen Freundinnen?

Durch die Bank weg sehr süß! Sie alle bemühten sich sehr, das Positive an dieser Situation zu sehen ("Gut, dann hast du ja drei weitere Monate mit Gehalt vor dir") und nicht auf die eher deprimierende Seite dieser Angelegenheit hinzuweisen (drohende Arbeitslosigkeit in den USA). Allerdings sind sie es auch schon gewohnt, mit meinen etwas unsicheren Arbeitsumständen umzugehen. Wahrscheinlich ist, dass die Default-Reaktion eines Deutschen auf meine Nachricht, vielleicht nur noch drei Monate einen Job zu haben, normalerweise ganz anders aussehen würde.

2 Kommentare:

  1. Hallo Carina, danke sehr für Deinen Blog. Mich würde interessieren, ob Frauen 50+ mit beispielsweise Diplom eine Chance haben? Gruß, Marion.

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  2. Hallo Marion. Die Krux ist, dass unser deutschen Abschlüsse erst mal hier nicht anerkannt werden. Es gibt wohl Möglichkeiten, zu versuchen, wenigstens Teile des Studiums/der Scheine anerkennen zu lassen, aber so viel ich weiß, musst du hier trotzdem wieder zur Uni gehen und den hier anerkannten Abschluss machen. Das hat nichts mit dem Alter zu tun.
    Um Genaueres zu erfahren, wendest du dich am Besten an eine amerikanische Uni/College für dein Fach.
    Tut mir Leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann.

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