Samstag, 28. November 2015

Typisch deutsch?

Regeln geben mir viel Sicherheit. Aber oft erwische ich mich dabei, wie ich unnötigerweise auf das Einhalten von Regeln bestehe. Ist das typisch deutsch?

Ich mag Regeln. Ja, wirklich. Ich finde Regeln großartig. Ohne sie wäre das Zusammenleben mit anderen Menschen nicht möglich. Ich bin immer bestrebt, den Regeln zu folgen und fühle mich unwohl, wenn ich mal nicht weiß, wie sie lauten. Es gibt ja so viele ungeschriebene Regeln, von denen ich meistens gar nicht weiß, dass es sie gibt, geschweige denn, dass ich ihnen folge. Zieht mal ins Ausland. Dann könnt ihr zu diesem Thema eine Doktorarbeit schreiben.

So gibt es hier in Maine die Regel (keine gesetzliche, sondern einfach so) als Autofahrer anzuhalten, wenn am Straßenrand ein Fußgänger steht, der so aussieht, als wenn er die Straße überqueren möchte. Das ist ziemlich lästig, wenn man eigentlich nur auf den Bus wartet oder eben nur so rumsteht. Ständig muss man dann die freundlichen Autofahrer weiterwinken.

Dagegen gibt es hier aber dann auch die Regel, dass rechtsabbiegende Autofahrer Fußgänger umfahren, obwohl die Ampel grün für den Passanten anzeigt (das ist ungesetzlich, aber das scheint keinen hier zu kümmern). Ich habe schon ein paar gefährliche Situationen erlebt, weil ich Dödel mich in dem Glauben wägte, dass grün für mich bedeutet, dass ich gehen darf. (Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass das Grün einer Fußgängerampel hier Weiß ist).

Wenn ich gesellschaftliche Regeln befolge, Benimm- und Verhaltensregeln einhalte und mich auch sonst so konform wie möglich verhalte, habe ich gute Chancen von einer Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Aber trotzdem finde ich, dass Regeln mit normalem Menschenverstand behandelt werden sollten. Sie sklavisch zu befolgen macht nicht immer Sinn (von lebensbedrohlichen Situationen an Mainer Ampeln mal abgesehen).

So gibt es ja z.B. an den Flughäfen die Regel, dass wartende Passagiere durch Absperrungen so geleitet werden, dass eine kilometerlange Warteschlange in Zickzack auf ein paar Quadratmeter eingedämmt werden kann. Diese Absperrungen verlieren aber so ziemlich ihren Sinn, wenn ich die einzige bin, die durch die Passkontrolle muss. Trotzdem bestehen die Beamten oft darauf, dass ich einen halben Kilometer hin und her laufe, bis ich endlich am Ziel bin. Das Abkürzen, indem ich einfach nur geradeaus gegangen wäre, wird mir nie gestattet.

In solchen Momenten hasse ich Regeln.

Aber leider bin ich manchmal genau wie diese Beamten. Wenn bei meiner Arbeit z.B. Dienstleister glauben, dass ich ihnen ihr Geld überweise nur weil sie mir eine formlose Email schicken, dann haben sie sich aber mächtig geirrt. Ich will eine richtige Rechnung habe. Mit Datum, Rechnungsbetrag und Rechnungsnummer. So was gibt es doch nicht, dass die tatsächlich glauben, so von uns Geld kriegen zu können? Wo kommen wir denn dahin? Und dann kommt meine Vorgesetzte und sagt ganz leicht daher, "Karina, fülle doch einfach unser Formular für solche Fälle aus". Ich sitze dann mit knirschenden Zähnen an meinem Schreibtisch und bin kurz davor in die Tischkante zu beißen. Natürlich wusste ich, dass ich für Fälle wie diese ein anderes Prozedere hätte wählen können. Aber ich wollte eine richtige Rechnung haben, weil das eben die Regel ist und weil ich empört darüber bin, dass andere sie nicht einhalten. Allerdings wirkt mein Bestehen auf den "normalen Weg" im Hinblick auf die gelassene und tolerante Reaktion meiner Vorgesetzten richtig kleinlich.

Warum, frage ich mich, war ich nicht gleich bereit, diesen anderen Weg zu gehen? Warum bestehe ich oft darauf, dass man es "richtig" macht, obwohl andere "weniger richtige" Wege genauso gut zu einer Lösung führen würden?

Ganz unglücklich über meine kleinliche Art, vertraute ich mich einer Kollegin an. Die hörte sich ganz ruhig mein Lamentieren an und sagte dann einfach nur "Well, sorry to say that, but you are typical German".

Mist, dachte ich, jetzt muss ich also auch noch für irgendwelche Klischees herhalten. Mist, Mist, Mist. Das mag ich gar nicht. Ich will nicht typisch deutsch sein. Aber wahrscheinlich ist das nur fair, wenn man bedenkt, wie oft ich Andrew als typisch amerikanisch bezeichne.

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