Donnerstag, 9. Juli 2015

Die Mitverantwortung des Opfers

Was ist eigentlich mein Anteil daran, wenn ich mich in Situationen befinde, in denen ich mich völlig machtlos fühle? Eigentlich glaube ich, dass es nur selten eine totale Machtlosigkeit gibt. Ich kann immer etwas ändern. Aber ich scheine das oft zu vergessen.

Angeblich weisen Kriminelle oft die volle Verantwortung ihrer Taten von sich indem sie ihren Opfern den schwarzen Peter zuschieben. Diebstahl? - "Ist doch nicht meine Schuld, wenn der Macker sein Auto in so einer unsicheren Gegend abstellt." "Ist es etwa mein Problem, wenn das Haus nicht besser abgesichert wurde?" Vergewaltigung? - "Was trägt die Tussi denn auch so ein enges Top? Das schreit doch nur nach Missverständnis." Betrug? - "Wenn die Leute aber auch immer die verseuchte E-Mail öffnen müssen. Die wissen doch, dass das gefährlich ist."

Mein ganzes Leben habe ich bei so etwas mit der reinsten Empörung reagiert. Wie KÖNNEN Menschen WIRKLICH GLAUBEN, dass eine Frau vergewaltigt werden will, nur weil sie sich weiblich anzieht? Selbst wenn eine Frau um Mitternacht alleine nackt durch den Wald spazieren gehen sollte, muss sie sicher vor Belästigungen sein, oder?

In diesem Post geht es mir allerdings nicht um diese Art von Opfern. Ich rede hier von mir und von dir und von vielen deiner und meiner Freundinnen und Freunde. Ich meine das Opferbewusstsein, dass viele von uns im Laufe unseres Lebens entwickeln. Manche mehr und manche weniger.

Eine Bekannte von mir ist ein klassisches Beispiel dafür. Wann immer wir uns treffen, erzählt sie mir ihr Leid darüber, wie schlecht das Leben und andere Menschen mal wieder mit ihr umgegangen sind. Ihr Mann ist nicht bereit alle Rechnungen zu bezahlen, obwohl seine Rente höher ist als ihre und er doch der Mann ist. Beim letzten Gemeindetreffen hatte sie sich zu Wort gemeldet und ist von der Leiterin trotzdem nicht rangenommen worden. Eine Freundin, die ihr vor 6 Monaten beim Umzug geholfen hatte, habe sich darüber beklagt, dass sie immer noch nicht ihr versprochenes Parfüm bekommen habe. Und generell seien die Menschen immer so unfreundlich zu ihr.

Ich weiß, das ist ein extremes Beispiel. Normalerweise haben Menschen, die sich derartig konsequent als Opfer sehen, ohne auch nur im allergeringsten ihren eigenen Anteil dabei zu erkennen, Probleme, bei denen ihnen eigentlich nur ein Therapeut weiter helfen kann.

Aber im kleineren Umfang erkenne ich dasselbe Verhalten auch bei mir und meinen Freunden. Wann immer ich in einer Situation negative Gefühle habe, die von dem Gedanken begleitet werden, dass ich sowieso keine Wahl habe, mache ich mich zum Opfer.

Wenn ich mich also in einem Meeting langweile (siehe meinen letzten Post), dann bin ich frustriert, weil ich denke, dass ich nicht die Möglichkeit habe, die Situation irgendwie zu verändern. "Ich MUSS an diesem Meeting teilnehmen, und es ist mir UNMÖGLICH meine Kollegen zu verstehen, und ich KANN NICHTS daran verändern, weil ich die kleinste Position in der Firma innehabe."

Ich bin das Opfer der Umstände und das macht mich wütend. Andere fangen dann eher zu jammern an, aber ich werde richtig sauer.

Eigentlich habe ich ja immer geglaubt, dass ich über DIESES Verhalten längst drüber hinweg bin. Schließlich arbeite ich ständig an mir.

Aber hier stehe ich nun und muss zugeben, dass ich mich auch des Opferbewusstseins schuldig mache. Es betrifft nicht nur Meetings. Es betrifft auch meine berufliche Karriere im Allgemeinen und meine Beziehungen.

So geht es mir seit geraumer Zeit nicht so sonderlich gut, weil ich mir wieder Sorgen darüber mache, dass ich den Kontakt zu meinen deutschen Freunden verlieren könnte und einfach noch keine entsprechenden Beziehungen hier in den USA aufgebaut habe. Ich war also frustriert und traurig und sauer und fühlte mich den Umständen hilflos ausgeliefert.

Ich merkte nicht, dass alle meine Gefühle auf der Annahme beruhten, dass ich an meiner Situation nichts ändern kann. Natürlich will ich im Moment noch nicht zurück nach Deutschland ziehen, dann würde ich ja Andrew verlieren. Aber ich habe es durchaus in der Hand, meine Freundschaften zu erhalten und neue Freundschaften aufzubauen. Es bedeutet eben, dass ich mir mehr Mühe geben muss. Ich darf die Dinge nicht schleifen lassen.

Worauf es also ankommt, ist, sich immer bewusst zu machen, was eigentlich wirklich in unserem Hinterkopf abläuft, wenn wir unglücklich sind. Und manchmal ist es ganz einfach. Hör auf, das Opfer zu spielen. Nimm dein Schicksal in die Hand und schaue dich genau um, um die Dinge wahrzunehmen, die du wirklich ändern kannst. Denn es gibt IMMER etwas, was wir an unserer Situation ändern können, und wenn es auch nur unsere eigene Einstellung dazu ist.

3 Kommentare:

  1. Und dennoch: Man kann so frohgemut und arglos sein, es gibt Menschen, die müssen sich immer andere als Opfer ihrer eigenen Frustration(en) aussuchen. Sie sind nur zufrieden, wenn sie Unfrieden stiften. Wehrt sich das Ziel ihrer Angriffe, dann schieben sie es auch noch zusätzlich in eine miese Ecke. Solch Verhalten beobachte ich in meinem kollegialen Umkreis leider vor allem bei Frauen.

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  2. Ja, ich weiß. Solche Menschen trifft man immer wieder. Sie sitzen in einer scheiß Falle. Je mehr sie die Verantwortung auf andere schieben, desto weniger können sie ändern, desto hilfloser und frustrierter werden sie und desto mehr werden sie auf andere Menschen wütend werden. Es ist wirklich schwer mit solchen Menschen auszukommen.
    Ich versuche solchen Menschen zu meiden, wo ich nur kann. Aber im beruflichen Umfeld ist das leider oft nicht mögllich.

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    1. Ich habe so eine Kollegin, die sich immer demonstrativ aufplustert, die Wangen aufbläst, mit den Augen rollt, hörbar "schnappatmet" oder dieses schnalzende "Tss" ablässt, wenn man etwas sagt, was ihr nicht gefällt. Das ist echt nervend.
      Irgendwann bin ich dazu übergegangen, sie einfach nicht mehr anzuschauen, um nicht auf ihre Provokationen zu reagieren. Das klappt immer besser ;-)

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