Dienstag, 3. Februar 2015

Hüttenkoller

Als wir hier einen Blizzard hatten, blieben die meisten Menschen zu Hause. Auto fahren war kaum möglich. Ich hatte mir Arbeit mit nach Hause genommen. Andrew blieb auch zu Hause aber konnte den Tag frei genießen und schaute Fernsehen während er mit Facebook spielte. Irgendwann um die Mittagszeit schlenderte er an meinem mit zwei Laptops und Papier beladenen Esstisch vorbei, an dem ich seit zwei Stunden angestrengt und frustriert auf komplizierte Excel-Tabellen starrte.

Während er sich eine Cola aus dem Kühlschrank nahm, sagte er "Brasilien! Wir sollten in Brasilien Urlaub machen!" Ich schaute noch nicht einmal von meinen Zahlen hoch aber antwortete völlig abgenervt "Yeah, great".

Andrew sprach den ganzen Nachmittag kein weiteres Wort mehr mit mir.

Als ich mit Andrew zusammenzog, war ich zuversichtlich, dass diese Beziehung funktionieren würde. Schließlich war ich mit jahrelanger Erfahrung in der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) gesegnet. Ich hatte gelernt und geübt und gelehrt, wie man richtig zuhört und seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse so kommuniziert, dass sie beim anderen gut ankommen. Was konnte denn da schon schief gehen?

Also praktizierte ich am Anfang GfK wann immer Andrew und ich ein Problem hatten. Ich machte es so, wie ich es gelernt hatte: Wann immer eine Situation auftrat, die problematisch war, zog ich mich zurück (aber leider oft erst NACHDEM wir uns gestritten hatten) und gab mir selbst Einfühlung. Ich forschte nach, wie genau ich mich fühlte und welche unerfüllten Bedürfnisse hinter diesen Gefühlen lagen. Wenn ich das gemacht hatte, hatte ich mich oft ein wenig beruhigt und konnte mich dann besser in Andrews Lage versetzen. Ich bekam dann ein größeres Verständnis dafür, warum er meiner Meinung nach so schräg reagiert hatte.

Dann ging ich zu ihm und versuchte meine Erkenntnisse mit ihm zu bereden. Ich fragte ihn, wie er sich fühlte. Aber das ging IMMER schief, solange die Situation für ihn noch aktuell war. Wenn er immer noch sauer war, weigerte er sich schlichtweg mit mir darüber zu reden. Und mein Einstieg "Bist du sauer auf mich, weil ich xxxx gesagt habe?" machte ihn nur noch wütender. Er dachte, dass ich das Offensichtliche beschreiben würde. Und wozu war das wohl gut? Er verstand nicht, wieso ich unbedingt mit ihm reden wollte, wenn er stinkewütend war.

Da stand ich nun mit meiner GfK und hatte einen Partner, der nicht mitspielte.

Tatsächlich brauchte ich eine ganze Weile, bis ich begriff, dass er schon mitspielte aber eben nur nicht so, wie ich es gerne gehabt hätte.

Wenn er auf mich wütend ist, möchte er in Ruhe gelassen werden. Einerseits will er keine Dinge sagen, die er nachher bereuen könnte, andererseits ist er einfach zu wütend, als das er Lust hätte, sich mit mir auseinanderzusetzen. Jedes Wort von mir in solch einer Situation, egal wie einfühlsam, wirkt auf ihn wie eine Provokation. Denn ich erfülle ihm die einzige unausgesprochene Bitte nicht, die er in solchen Situationen an mich hat: Lass mich in Frieden.

Ich musste lernen, diese Bitte zu hören und auch zu folgen. Und glaubt mir, die ersten eineinhalb Jahre habe ich alles versucht, dieser Bitte, obwohl ich sie gehört hatte, NICHT zu folgen. Ich habe die ganze GfK Trickkiste rauf und runter gespielt, denn ICH wollte reden. Und zwar sofort, Jetzt. Auf der Stelle. Für mich war es unerträglich, wenn er sauer auf mich war. Ich wollte sofort erlöst werden von dem Druck, den sein Ärger bei mir auslöste.

Mir machte sein Ärger Angst, denn ich befürchtete immer, dass dieser Streit einen Beziehungsabbruch nach sich ziehen könnte. Aber ich wollte auch MEINEN Ärger so schnell wie möglich wieder loswerden, denn dieses Gefühl machte mir auch bei mir selber Angst. Denn ich dachte in solchen Momenten tatsächlich ernsthaft darüber nach, ihn zu verlassen. Das alles fühlte sich ungeheuer dramatisch und überwältigend und beängstigend an. Und dabei war es meistens nur ein lächerlicher Anlass.

Hier stießen also zwei Welten des Umgangs mit Konflikten aufeinander. Ich wollte immer gleich alles sofort bereden und bereinigen, um mir mein Bedürfnis nach Sicherheit und auch nach Klarheit zu befriedigen. Ich wollte immer verstehen, was denn da schief gelaufen war und wollte auch von ihm verstanden werden. Und er wollte einfach nur seine Ruhe haben und sich alleine wieder abregen. Auch das erfüllte ihm sein Bedürfnis nach Sicherheit vor weiteren Verletzungen.

Ich mache immer noch GfK, wenn Andrew und ich einen "Moment" haben. Ich mache es nur anders als am Anfang. Wenn wir sauer aufeinander sind, lasse ich ihn also erst einmal in Ruhe. Dies ist mir aus zweierlei Gründen möglich: Erstens habe ich im Laufe der letzten Jahre das Vertrauen gewonnen, dass diese Beziehung so leicht nicht auseinanderbricht. Zweitens verschaffe ich mir immer im Nachhinein, wenn sich die Wogen wieder geglättet haben, die Klarheit, die ich brauche, um zu verstehen, was schief gegangen war.

Also redeten wir am Nachmittag des Blizzardtages nicht miteinander. Abends normalisierte sich aber alles wieder und es stellte sich heraus, dass er einfach nur schlecht gelaunt gewesen war, weil ihm die Decke an diesem Tag auf dem Kopf fiel

Gewaltfreie Kommunikation ist für mich, die oft unausgesprochene Bitte des anderen zu hören und zu prüfen, ob ich sie erfüllen kann. Ich kann sie nicht immer erfüllen (und ehrlich gesagt, will ich sie vielleicht auch nicht immer erfüllen) aber ich bin mir dann auch im Klaren darüber, dass ich einen Preis dafür zahlen muss, wenn ich dem anderen nicht den Raum lasse, den er braucht.

Karina

1 Kommentar:

  1. Liebe Karina, da bist du aber schon fortgeschritten. Denn so ein Blizzardtag stellt sich ja nicht nur ein, wenn es in Amerika schneit und windet, nein, er stellt sich gerne mal ein, wenn es einen Streit gibt, den man (ja, ja, ja: ich) partout nicht verstehen kann. Und sich dann in einen windstillen Winkel zurückziehen, während es draußen weiter tost (oder sich zumindest so anfühlt, als würde es einem die halbe Beziehung wegpusten) ... Aber stimmt schon, so mancher Sturm ist am Schluss nur ein Windbeutel. Gut, wenn man sich dann nicht mit "Dagegenhalten" ausgepowert hat :-)

    AntwortenLöschen