Samstag, 26. Dezember 2015

Mein fünftes Weihnachten in Amerika

Ich lebe gerne hier. Amerika ist bis jetzt wirklich gut zu mir gewesen. Und das obwohl hier Arbeitnehmerrechte so gut wie gar nicht existieren und auch das Gesundheitssystem im Vergleich zu unserem eher schlecht abschneidet. Aber ich hatte mit dem Gesundheitssystem bisher nur ein kleines teures Intermezzo gehabt und mit meinem Arbeitgeber habe ich einen tollen Fang gemacht (wenn man das so nennen kann).

Mein erstes Weihnachten vor fünf Jahren war ein Kulturschock gewesen. Obwohl es, glaube ich, gar nicht mal so viel mit der amerikanischen Kultur zu tun hat sondern eher mit der Familiendynamik meiner Schwiegerfamilie. Aber das wusste ich damals noch nicht, denn am Anfang war alles, was nicht so war, wie ich es gewohnt war, amerikanisch. Eine Verallgemeinerung, vor der ich mich heute hüte, aber zu der ich trotzdem immer noch neige.

Ich hatte damals meine Schwiegereltern und meine drei Teenager-Stiefsöhne für Heiligabend eingeladen. Sie sollten um 17 Uhr kommen. Ich bereitete also schon fast alles am Tag vorher vor, da ich am Heiligabend von der Arbeit nach Hause hetzen würde, um wenigstens eine Stunde vor meinen Gästen da sein zu können.

Ich verwandt also einiges an Zeit und liebevoller Mühe auf die Dekoration des Hauses, Baumes und Esstisches. Ich schnipselte und kochte, was das Zeug hielt. Als ich von der Arbeit kam hatte ich noch eine Stunde Zeit und war dann auch fast fertig, als meine Gäste kamen. Sie wurden mit Getränken versehen, im Wohnzimmer zwischengeparkt und um 17:30 Uhr konnten wir mit dem Essen anfangen. Eine Stunde später waren wir mit dem Essen fertig und wechselten zum Wohnzimmer, wo unter dem Baum alle Geschenke lagen. Leider hatten wir aber kaum noch Zeit für das Auspacken der Geschenke, denn die Mutter der Kinder hatte beschlossen, dass sie ein Mal im Jahr am Heiligabend unbedingt zu der Messe um 19:00 Uhr gehen musste. Das hieß, wir hatten ungefähr 15 Minuten Zeit, alle Geschenke aufzureißen, bevor die Jungs von ihrer Mutter abgeholt wurden. Das schafften wir auch im entsprechenden Chaos.

Die Mutter holte die Jungs pünktlich ab und dann dachte ich, dass jetzt der gemütliche Teil des Abends anfangen konnte. Schließlich hatte ich bis dahin als Gastgeberin pflichtgemäß nur geschuftet. Jetzt wollte ich die Gesellschaft meiner Schwiegereltern und die weihnachtliche Atmosphäre an unserem Kaminfeuer genießen.

Aber dann standen meine Schwiegereltern auf und verabschiedeten sich mit der Begründung, dass es ja schon spät geworden war, um 19:05 Uhr!!! Andrew brachte sie also nach Hause, was hieß, dass ich Heiligabend um 19:10 Uhr vollkommen alleine vor unserem Tannenbaum saß.

Leute, glaubt mir, es gibt Momente auch im Leben einer frisch verheirateten Frau mit großer Schwiegerfamilie und drei Stiefsöhnen, wo sie sich sehr einsam und verwirrt fühlen kann. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlen sollte. Sollte ich empört sein? Oder traurig, verletzt, sauer? Bis zu diesem Abend hatte ich gar nicht gewusst, dass ich ganz bestimmte Vorstellungen davon hatte, wie der Heiligabend eigentlich abzulaufen hat.

Die Weihnachten in meiner Kindheit sind ganz traditionell abgelaufen. Die ganze Familie kam bei meiner Oma zusammen. Es wurde bis in die tiefe Nacht gegessen, gestritten und geschenkt. Ich fand es toll, aber ich glaube für die Erwachsenen war es purer Stress. Natürlich sahen meine Weihnachten als Erwachsene etwas anders aus. Da ich nie eine eigene Familie hatte, sprich Mann und Kinder, verbrachte ich den Abend oft entweder mit meiner Mutter und ihren Freunden oder bei meinem Stiefvater und seiner Familie als Gast. Es wurde wieder viel gegessen, weniger gestritten und geschenkt. Aber es war immer klar, dass man lange Stunden miteinander verbringen würde.

Als ich nach Amerika kam, hatte ich nicht erwartet, das Weihnachten, egal, wie es hier auch aussehen mochte, irgendein Problem für mich werden könnte. Ich war überzeugt davon, dass ich keine feste Vorstellung davon hatte.

Und dann versuchte ich zwanghaft meine Kindheitserfahrungen zu reproduzieren und war dann schockiert, dass es nicht so wurde, wie ich es mir vorgestellt hatte. Denn eines war allen meinen Weihnachtsfeiern gemeinsam gewesen: Das Stundenlange Beisammensein mit Freunden und/oder Familie. Ich war vollkommen erschüttert, als ich diese Erfahrung hier nicht reproduzieren konnte.

Aber jetzt, nach mehreren Jahren kann ich sagen, dass Weihnachten ganz wunderbar für mich war. Die Vorbereitungen sind überhaupt nicht mehr stressig für mich, da ich mich auf einfach zuzubereitende Mahlzeiten spezialisiert habe und keine Hemmungen mehr habe, Andrew einen Teil des Kochens zu überlassen. Und ich weiß jetzt, was ich zu erwarten habe. Ich habe nämlich im Laufe der Jahre gemerkt dass meine Schwiegereltern immer ungefähr eine halbe Stunde nach dem Essen gehen, egal, wo sie gerade eingeladen sind. Sie sind schon relativ alt und gehen sehr früh zu Bett. So sind sie halt und das hat nichts mit mir zu tun. Außerdem passt Andrews Ex-Frau ihr plötzlich einmal im Jahr auftretendes religiöses Bedürfnis unserem Zeitplan an, so dass wir mehr Zeit für die Bescherung haben. Aber nach einer Stunde merkt man, dass die Jungs sich mit uns Erwachsenen langweilen und wegwollen.

Die Kinder gingen also um 19 Uhr und meine Schwiegereltern um 20 Uhr. Andrew und ich wuschen schnell alles ab, räumten auf und zogen unsere kuscheligsten Schlumperklammotten an, um den Abend ganz ruhig und gemütlich zu beenden. Das hört sich doch gar nicht mal so schlecht an, oder?

Ich glaube, ich komme einfach immer mehr und mehr in meinem Leben hier an. Vielleicht geht es ja nur mir so, dass das so lange dauert. Vielleicht geht es auch anderen so. Aber ich bin froh, dass es so ist, denn Weihnachten ist ein blöder Zeitpunkt, um traurig zu sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen