Sonntag, 2. August 2015

Das Glück der Erde liegt zwischen meinen Ohren

Ich habe eine Begabung zum unglücklich sein. Glücklich sein dagegen, erfordert von mir Arbeit.

Ich finde ja, dass in Maine alle, ohne Ausnahme - und ich übertreibe nicht - andauernd über das Wetter jammern. Im Winter jammern sie weil es so kalt ist (was stimmt), im Sommer weil es so warm ist (was nicht stimmt), wenn es regnet, ist es ihnen zu nass, wenn die Sonne scheint, ist es zu trocken und überhaupt leidet hier jeder andauernd unter hoher Luftfeuchtigkeit, die ich selber kaum wahrnehme.

Die Mainer machen mich wahnsinnig (Dabei habe ich mir sagen lassen, dass die Amies im übrigen Teil des Landes sogar noch schlimmer sein sollen).

Mir gehen alle Menschen, die jammern - egal, über was - fürchterlich auf den Keks. Denn historisch gesehen bin ich nämlich eigentlich die allergrößte Jammerliese. Eine Eigenschaft auf die ich nicht gerade Stolz bin und die ich gerne bei mir selber ausmerzen möchte. Wenn aber andere um mich herum jammern, tun sie etwas, was ich mir mit viel Arbeit, abzugewöhnen versuche. Genauso fühlte ich mich früher, wenn ich eine Diät machte und jemand vor mir ein riesiges Eis verdrückte.

Den größten Teil meines bisherigen Lebens hab ich also damit verbracht, mich schlecht zu fühlen. Dabei hatte ich angeblich immer sehr gute Gründe dafür: Ich war dick (und wurde immer dicker), ich war Single und hatte beruflich nicht die schillernde Karriere, die ich mir für mich ausgemalt hatte (siehe meinen Post "Ich bin bald 50 und mein Traumjob ist immer noch nicht da" und "Ballast abwerfen oder wie vergebe ich mir selber?"). Außerdem hatte ich nur wenige Freundinnen, mein Leben war langweilig, ich war einsam und meine Nase fand ich auch hässlich.

Kurz gefasst: Mir ging es scheiße - und das über Jahrzehnte. Und Jammern und Selbstmitleid spielten eine große Rolle dabei.

Aber schon als Jugendliche dachte ich mir, dass das doch nicht alles sein konnte. Konnte es denn nicht auch für mich möglich sein, glücklich zu sein, so wie alle anderen Jugendlichen auch? Warum war ich nur immer so traurig und fühlte mich so falsch auf dieser Welt? Darum habe ich mein ganzes Leben nach einer Lösung für genau dieses Problem gesucht. Hunderte von Selbsthilfebücher, zwei Therapien, eine Ausbildung zur Trainerin der Gewaltfreien Kommunikation und eine riesige Gewichtsabnahme später bin ich natürlich ein wesentlich glücklicherer Mensch als früher. Aber trotzdem stimmt da noch etwas nicht.

Denn mein altes Ich ist immer noch da. Es lockt mich mit leisen Sirenengesängen, doch wieder genauso zu denken und zu fühlen, wie ich es früher tat. Und wenn ich nicht aufpasse, bin ich gefühlsmäßig auch genau wieder da, wo ich früher stand: Ich fühle mich alleine, dumm, hässlich und minderwertig. Wenn ich mich so fühle, dann weiß ich, dass ich wieder innerlich am jammern bin.

Ich weiß nicht, was das ist, was mich immer wieder in dieses schmerzliche aber so wohl vertraute Loch zieht. Ist es Veranlagung? Habe ich ein spezielles Gen, das mir ständig in die Glückssuppe spuckt? Oder haben sich in meinem Hirn einfach durch jahrzehntelange Benutzung bestimmter Ganglien und Rezeptoren solche dicken Nervenstränge gebildet, dass sie nicht mehr zurückgebildet werden können? Dabei soll ja eigentlich ein Gehirn Teile, die nicht benutzt werden, schnell wieder abbauen können. Jedenfalls hat das z.B. beim Klavierspielen wunderbar geklappt. Ich hatte jahrelang Unterricht, aber schon ein Jahr nachdem ich damit aufgehört hatte, konnte ich keine zwei zusammenhängende Töne zustande bringen.

Warum klappt das nicht auch mit den negativen Gedanken und Gefühlen?

Ich glaube eine Erklärung ist, dass sie nun einmal ein unabänderlicher Teil von mir sind. Vielleicht sind sie auch ein wesentlicher Teil des Menschseins? Jedenfalls ist mir noch nie ein Mensch begegnet, der immer nur positive Gedanken und Gefühle hat.

Aber auch wenn das ein Teil des Menschseins ist, so finde ich, dass ich diesen Teil früher stark übertrieben habe. So etwas muss ich nicht noch einmal haben. Also ziehe ich heutzutage alle Registerkarten, die ich in petto habe, um mich gefühlsmäßig so schnell wie möglich wieder in bessere Gefilde zu bringen.

Aber, wie gesagt, es ist Arbeit für mich. Mein Leben ist so erfüllt, wie noch nie zuvor und trotzdem kann ich mich jederzeit minderwertig fühlen. Der einzige Unterschied heute ist, dass ich für meine negativen Gefühle keine Ausreden mehr habe. Es gibt im Moment de facto nichts, worüber ich wirklich unglücklich sein könnte, außer ich konstruiere mir etwas.

Und das beweist für mich eine Theorie, an die ich immer schon geglaubt habe. Wenn ich unglücklich sein kann, obwohl mein Leben in allen wichtigen Punkten eigentlich großartig ist, dann kann ich auch glücklich sein, wenn es in meinem Leben weniger gut läuft. Es ist nur eine Frage, wie ich gedanklich mit meinem Leben umgehe. Und das Jammern ist ein großer Teil davon.

Wenn ich mich also selber wieder einmal beim Jammern erwischen sollte (z.B. beim Jammern über die jammernde Mainer), dann muss ich sofort damit aufhören und wenn ich nicht einen besseren Gedanken über die Mainer finden sollte, dann sollte ich mich einfach mit etwas Nettem ablenken.

Und das ist Arbeit. Denn für mich ist es viel leichter in die negative Gefilde meiner Gedankenwelt zu verlieren. Aber was habe ich davon? Nichts! Lieber investiere ich ein wenig Mühe darin, mich besser zu fühlen, als mir mein Leben durch Jammern zu vergällen.

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